Christian Bock
„Aus der Reduktion folgt die Wertschätzung“
Christian Bock (38), der auf einem Bergbauernhof im Gailtal aufgewachsen ist, reist seit mehr als 15 Jahren zu den entlegensten Plätzen und Kulturen unserer Erde. Im Interview mit YAvida teilt der Kärntner wertvolle Erkenntnisse für unsere Zeit.
YAvida: Wie wurde deine Begeisterung für das Reisen geweckt?
Christian Bock: Alles begann mit einem Ausbruch. Nach der HTL und einem stressreichen Job als Software Entwickler sowie der Trennung von meiner damaligen Freundin beschloss ich im Alter von 20 Jahren spontan allein für ein halbes Jahr nach Australien zu gehen. Das Reisen war für mich wie eine Bewältigungsstrategie: Ich habe quasi mein Korsett abgelegt und gelernt mehr auf mein Gefühl zu hören, auch eine Balance zu entwickeln zwischen meinen rationalen und irrationalen Fähigkeiten. Es war eine Chance sich langfristig anders zu entwickeln, weil ich komplett neue Eindrücke gesammelt habe. Auf dem Weg zum theoretischen Physiker entdeckte ich schließlich während meines Studiums die Leidenschaft für lange Trekking- und Wildnisreisen sowie die Liebe zur Fotografie.
Was ist das Besondere an deiner Art zu reisen?
Auf Reisen überlasse ich generell viel dem Zufall. Das ist eine Möglichkeit enger mit Menschen in Berührung zu kommen, die anders leben bzw. andere Vorstellungen haben, als man es bei uns gewohnt ist. Überhaupt würde ich sagen: Je weniger ich geplant, organisiert oder mir im Vorfeld Gedanken gemacht habe, desto wertvoller war die jeweilige Reise. So spürst du auch viel mehr hinein, was in einem Land eigentlich vorgeht. Neugier und Motivation gehören natürlich auch dazu. Eine neue Kultur kennenlernen kann ich am besten, wenn ich auf mich allein gestellt bin. Ich glaube, ich hätte sonst z. B. auch nicht russisch gelernt.
Du warst insgesamt zwei Jahre mit Pferden quer durch Kirgistan unterwegs. Welche Erfahrungen konntest du dort sammeln?
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich der gefühlte Lebensstandard, wenn du nur lange genug „in einem anderen Leben“ lebst, anpasst. Und der Lebensstandard in Zentralasien ist für mich halt ein Pferd, ein Zelt, ein Schlafsack und etwas zu essen. Und wenn man lange genug dort ist, kann man nicht (mehr) wirklich verstehen, wozu wir hier in Europa so viel brauchen. Denn aus kirgisischer Sicht sind wir reich und haben schon lange alles erreicht: Wir haben etwas zu essen, wir haben ein Dach über dem Kopf, unter Umständen eine Familie. Das sind quasi die Dinge, die die Menschen dort beschäftigen. Und wenn du dann zurückkommst in deine Heimat, erscheint dir die eigene Welt zunächst sehr fremd. Nach solchen Reisen braucht es immer mehrere Wochen, bis ich mich wieder hier einfinde. Dieses Gefühl, das baut sich dann wieder ab, weil man sich wieder anpasst. Es ist quasi ein ähnlicher Prozess, der auch stattfindet, wenn man sich an fremde Gegebenheiten, wie jene in Kirgistan, anpasst.
Welche Erkenntnisse hast du gewonnen?
Ich habe gemerkt, dass ich vor meinen Reisen sehr ungesättigt war, vielleicht zu einem gewissen Grad sehr getrieben. Es ist auf jeden Falls so, dass mich speziell die Reisen nach Kirgistan sehr viel zufriedener gemacht haben, vor allem in Bezug auf mein Heimatland Österreich, weil ich das Gefühl habe, dass Vieles in meiner Umwelt weit über das hinausschießt, was ich gelernt habe, was man eigentlich zum Leben braucht und dass ich das auch nicht mehr wirklich verfolge. Dadurch habe ich sehr viel mehr Ruhe gewonnen und Wertschätzung entwickelt. Ich verstehe die eigene Welt durch diese fremde Welt viel besser.
Was möchtest du den Menschen in deinen Vorträgen vermitteln?
Wertschätzung und Dankbarkeit für die Möglichkeiten, die wir hier in Mitteleuropa haben und welches Leben wir leben können auf verschiedenen Ebenen: sei es ökonomisch, sozial, aber auch in letzter Konsequenz politisch. Das Schlaraffenland oder die sogenannte Spaßgesellschaft ist eine Illusion. Das habe ich durch diese Unterschiede im Lebensstandard, die ich selbst erlebt habe und die relativ radikal sind, ganz deutlich gespürt. Es ist etwas Besonderes auf diesem Planeten, dass ich vor 200 Leuten stehen kann und unsere Regierung kritisieren darf und übermorgen noch nicht „im Häf ’n“ bin. Das Ausleben von differenzierter Meinungsfreiheit ist global betrachtet etwas Besonderes. Wir müssen dankbar sein und kämpfen für das, was wir haben. Ich glaube, du kannst Demokratie wahrscheinlich erst dann schätzen und spüren, wenn du weißt, wie es sich anfühlt in Ländern mit alltäglicher Korruption auf jeder Ebene zu leben. Wir müssen es auch wertschätzen, dass wir die Möglichkeit haben wirtschaftlich aktiv zu sein mit vollem Risiko: Du kannst dich eigentlich komplett ausprobieren in Mitteleuropa. Es passiert nichts, weil im äußersten Notfall sitze ich in Österreich nicht auf der Straße. Keine Angst vor dem Scheitern haben zu müssen ist eine wichtige Rahmenbedingung für Innovation und Kreativität.
ZUR PERSON
CHRISTIAN BOCK
ist Reisender, Fotograf und Vortragender. In Abenteuervorträgen quer durch den deutschsprachigen Raum teilt er seine Reiseerlebnisse. Mehr dazu unter www.christian-bock.net
Weniger ist mehr: Auf mehrmonatigen Reisen durch Zentralasien hat Christian Bock wertschätzen gelernt, dass es nicht viel braucht, um glücklich zu sein. © Christian Bock
WISSENSWERT
Kirgistan ist ein Land in Zentralasien, das sich an der Seidenstraße befindet. Es grenzt im Norden an Kasachstan, im Osten an China, im Süden an Tadschikistan und im Westen an Usbekistan. Das Hochgebirge des Tienschan nimmt an die 95 % ganz Kirgistans in Anspruch, dessen höchste Erhebungen über 7.000 m erreichen.