Karin Weigl
© hin & weg Werbeagentur; photobakery by Petra Mahringer
Unsere Gesellschaft und Arbeitswelt ist geprägt von Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit, häufig beschrieben mit dem Akronym „VUCA“. Viele alte Muster – privat wie beruflich – scheinen nicht mehr ausreichend zu funktionieren. Wenn die Umgebungsbedingen sich radikal verändern, braucht es neue Leitsätze und Strategien, die jeder Mensch für sich selbst finden muss. Dabei lautet die Devise: Nicht mehr vom gleichen, nur besser, sondern manchmal sehr anders – neue Handlungsspielräume eben. „Diese begeht man aber nicht einfach so, sondern die muss man sich tatsächlich erarbeiten“, sind sich Hannes Gessoni und Karin Weigl einig.
Muster erkennen
Menschen tendieren dazu gewohnte Muster sehr lange aufrechtzuerhalten, oft solange, bis sie in eine (persönliche) Krise geraten. Im Hintergrund stecken psychologische Glaubenssätze, denn wir alle haben gefärbte Realitäten aus unseren Erfahrungen und Erlebnissen heraus. Das kann dazu führen, dass man sich in Situationen festgefahren fühlt. „Da brauche ich dann jemanden, der mir mal andere Fragen stellt oder andere Sichtweisen eröffnet, die es in meiner Wahrnehmung nicht gibt, sodass ich sie gar nicht denken kann. Das heißt: alles, was ich (noch) nicht denken kann, kann ich auch nicht umsetzen“, erklärt Weigl. „Gerade unter Druck oder in einer unsicheren Situation neigen wir Menschen dazu, dass wir im ,entweder oder‘ denken. Das ist wahnsinnig einschränkend. Es gibt aber immer auch ein ,sowohl als auch‘“, so Gessoni.
In sich Sicherheit finden
In einer Gesellschaft, wo sich äußere Sicherheit durch Besitz, Materie und Beziehungen definiert, ist bei vielen Menschen die Notwendigkeit abhanden gekommen, sich in sich selbst sicher zu fühlen. „Wir haben viele äußere Identitätsstützen, die uns scheinbare Sicherheit vermitteln: mein Haus, mein Auto, mein Job, usw. Wir treten nun aber offensichtlich in eine Zeit ein, wo viele dieser ‚alten‘ Sicherheiten beginnen zu bröckeln. Wenn sie wegbrechen, tut sich irgendwann die Frage auf: Wer bin ich wirklich?“ erklärt Gessoni. Fallen gleich mehrere dieser Sicherheiten weg, dann geht es darum, in sich selbst Sicherheit zu finden. „Das ist die große Kunst und das wird das Thema der nächsten Jahre und Jahrzehnte sein, dass wir lernen, diese innere Stabilität wieder zu entwickeln: Wenn rund herum alles wegbricht, dass ich trotzdem noch in der Früh aufstehe und einen Sinn im Leben sehe“, bekräftigt Weigl.
Karin Weigl
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Identität ist einzigartig
Veränderung geht mit Ungewissheit einher. Das macht es oft so schwierig, aus Hamsterrädern auszusteigen und sich auf neue Handlungspielräume einzulassen. „Das Bild, das wir zeichnen, hat ganz viel mit Unsicherheit zu tun und das kann den einen oder anderen Widerstand auslösen“, schmunzelt Gessoni. Es wartet aber etwas sehr Lohnendes. „Wenn man seine innere Identität gefunden hat, wenn man für sich sagen kann: das bin ich – und zwar ohne die Automarke, die Wohngegend oder DEN Job – das kann einem niemand nehmen. Das gibt dir eine Stärke, die in jeder Lebenssituation auch spürbar ist! Das sind die Lebensläufe, wo sich alle fragen, wie macht er oder sie das? Das Geheimnis ist ihre Identität“, ist sich Gessoni sicher.
Intuition und Emergenz
In Zeiten verstärkter Unsicherheit beginnt sich auch die Art und Weise von Entscheidungsfindungen zu verändern. Viele Themen können nicht mehr rational erfasst, geschweige denn rational entschieden werden. „Ich beobachte, dass Menschen sich trauen auch in den höheren Führungsetagen Entscheidungen zu treffen mit dem Resultat: Es spürt sich nicht gut an. Es geht dabei um ein intuitives Gefühl, das man rational schwer erklären kann, weil es aus dem Unterbewusstsein kommt. Das ist ein Aspekt, den Frauen sehr stark einbringen. Aber auch immer mehr Männer trauen sich das, es wird salonfähiger“, betont Weigl. Zudem ist es auch an der Zeit, zu lernen über Unbehagen zu sprechen, um dadurch bessere Entscheidungen treffen zu können. Es gilt alle Instanzen zu vereinen. „Der Verstand ist immer rational, die Emotion hat eine Befindlichkeit, die Intuition weiß, was es braucht für Sicherheit und Überleben. Es ist höchste Zeit, dass wir unserer Intuition und dieser leisen, aber klaren Stimme aus unserer rechten Gehirnhälfte mehr Aufmerksamkeit geben“, so Weigl. Andererseits ist es wichtig zwischen Kompliziertheit und Komplexität zu unterscheiden. Komplizierte Situationen können durchdacht werden, sie sind bestimmbar. Wohingegen komplex bedeutet, dass es noch nicht klar ist, es muss sich erst entwickeln. „Wir haben immer mehr solche emergenten Situationen, sei es im Privatleben oder in der Wirtschaft. Wenn ich hier eine gute Lösung erzielen will, dann lasse ich das nicht einen allein entscheiden, sondern binde mehrere in den Entscheidungsfindungsprozess ein“, so Gessoni.
Zukunft gestalten
Ein zentraler Punkt ist das Thema der inneren Haltung. „Zum einen mir selbst gegenüber, aber auch im Umgang mit anderen.Das wird in den nächsten Jahren darüber entscheiden, wie wir als Gesellschaft durch diese Zeiten der Veränderung kommen. Ich würde mir wünschen, dass immer mehr Menschen beginnen sich mit ihrer inneren Haltung auseinander zu setzen“, betont Weigl. In einer beschleunigten und sich beschleunigenden Zeit fehlt es auch oft an Überblick. „Überblick braucht Abstand. Ich würde mir wünschen, dass wir nicht nur im Management, sondern auch im Leben lernen, aus dem Affentempo hin und wieder auszusteigen und sich immer wieder Phasen zu nehmen, um Reflexion und Überblick zu erlangen. Das würde uns allen gut tun,“ so Gessoni abschließend.
Hannes Gessoni
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ZUR PERSON
HANNES GESSONI, MSC. & MAG. KARIN WEIGL, MSC.
sind Unternehmensberater und Dipl. Lebens- und Sozialberater. Die beiden unterstützen Menschen und Organisationen dabei neue Handlungsspielräume zu entwickeln.