© Erich Varh
Bildung
24.09.2024

„Demokratie muss täglich neu erkämpft werden“

Kärntens Landeshaupt­mann Peter Kaiser über die Verant­wortung für nächste Generationen und das Rollen­verständnis von Medien und Politik.

advantage: Das Vertrauen in staatliche Institutionen und demokratische Strukturen geht immer mehr verloren. Stichwort Politikverdrossenheit. Warum ist das aus Ihrer Sicht so?

Peter Kaiser: Ich würde den Begriff ein bißchen relativieren. Es sind andere Kritikpunkte. Vielfach ist es eine auf Personen gewandte und von dort abgeleitete Mentalität. Es ist zweitens auch so etwas wie ein Rückzug auf die eigene Wahrnehmung, der maximale Blick auf den „eigenen Bauch“, der natürlich durch die multipolaren Krisen verstärkt wird. Das ist die Mentalität, die ich immer wieder in Gesprächen spüre. Und diese Mentalität fördert alle, die weniger demokratiebetont handeln und die an der schmalen Grenze zwischen liberalen und autokratischen Zügen stehen.

Welche Rolle kommt dabei der Politik zu?

Über alle Parteien hinweg muss man dem entgegentreten. Es ist wichtig, die Situation offen anzusprechen: bei allen Anlässen, in Dialogen, bei Veranstaltungen, auch bei Ehrenauszeichnungen. Es resümiert in einem Satz: Demokratie muss täglich neu erkämpft werden.

Was sind Ihre Erwartungen an die nächste Bundesregierung?

Erstens alles zu tun, dass das Vertrauen, das in unsere demokratischen Institutionen in vielen Bereichen verloren ging, gefestigt und gestärkt wird. Zweitens erwarte ich mir, dass man die Maßnahmen so setzt, dass Teuerungen und Inflation nachhaltig bekämpft werden und dass erkannt wird, dass man in vielen Bereichen auch als EU gemeinsam im globalen Zusammenhang agieren muss. Ich erwarte mir zudem, dass in den wichtigsten Fragen wie Gesundheit, Wirtschaft und der Sicherung des Wohlfahrtsstaates auch über die Grenze Regierung und Opposition hinweg ein gemeinsames Handeln unter Einbezug der Sozialpartner stattfindet.

„Egal ob man sich engagiert oder nicht, Politik findet statt.“

Peter Kaiser, Landeshauptmann

Die Kärntner Nachhaltigkeitskoalition zwischen SPÖ und ÖVP gilt über die Landesgrenzen hinweg als Erfolgspartnerschaft. Welche Rolle spielt die Verankerung der SDGs?

Dieses Bewusstsein, Verantwortung für nächste Generationen zu haben, und das nicht nur im Großen, Abstrakten, sondern im täglichen Tun und Arbeiten zu vermitteln, ist das Wichtigste, was mit der Verankerung der 17 Nachhaltigkeitsziele (SDGs) im Regierungsprogramm geschehen ist. Das ist eigentlich das Grundwesen der jetzigen und wahrscheinlich auch nächster Regierungsperioden. Denn egal, wie man es dreht und wendet: Dass wir einen Klimawandel haben und dass wir eigentlich ums eigene planetarische Überleben kämpfen, kriegen immer mehr Menschen mit.

Daher wird es wichtig sein, dass wir hinterfragen, ob bei allem was wir tun, das wirklich das Richtige, das Geforderte, das Notwendige ist. Es ist unsere Aufgabenstellung, diese Welt an nächste Generationen möglichst unbeschadet und noch gestaltbar weiterzugeben. Und ich sage auch ganz offen: Es ist immens schwer, weil wir auf historisch gewachsene Interessen, Besitze und Sonstiges stoßen. Etwa die Debatte um das Renaturierungsgesetz hat das deutlich gezeigt.

Wie können insbesondere junge Menschen mobilisiert werden, um von ihrem Stimmrecht Gebrauch zu machen?

Das kann man nicht auf Knopfdruck. Demokratie und politische Bildung sollten fest verankert sein in unserem Bildungswesen. Das ist für mich noch nicht ausreichend vorhanden. Wir in Kärnten gehen insofern einen etwas anderen Weg, als das wir versuchen, Demokratie positiv zu bewerben und vor allem junge Menschen auch da heran zu führen. Wir haben regelmäßig Schulen zu Besuch bei uns in der Landesregierung, mit denen wir diskutieren. Kärnten ist zudem das einzige Bundesland, das verpflichtend Schülerparlamente zweimal im Jahr im Landtag abhält. Das ist auch in der Landesverfassung verankert. Es gibt zudem mehrere Gespräche mit der Schüler:innenvertretung pro Jahr.

Wir machen da einiges, um mit positivem Beispiel voran zu gehen. Ich bin mir aber bewusst, dass das nur ein Beitrag ist, dem wahrscheinlich vieles andere gegenübersteht: Eine vermehrte Prägung durch soziale Medien, durch unterschiedlichste Qualitäten selbiger – von Fake News bis hin zum Partizipationscharakter.

„Es ist unsere Aufgabenstellung, diese Welt an nächste Genera­tionen möglichst unbe­schadet und noch gestaltbar weiterzugeben.“

Peter Kaiser, Landeshauptmann

Welche Rolle spielen die Medien in einer Demokratie?

Im Wesentlichen sind Medien – neben Legislative, Exekutive und Jurisprudenz – quasi die vierte Säule der Montesquieu’schen Trinität in einer Demokratie. Sie stellen Öffentlichkeit her. Da gibt es von positiven bis negativen Beispielen eine breite Skalierung. Für mich einer der gefährlichsten Momente in demokratischen Entwicklungen war die Ära Berlusconi in Italien, wo es zwischen Wirtschaftsmacht und politischer Macht fast auch eine Informationshegemonie gab aufgrund seiner Medienbeteiligungen.

Auf der anderen Seite halte ich es für problematisch, dass aktuell Prognosen dorthin gehen, dass beispielsweise Printmedien kaum mehr Chancen aufs Überleben haben in dieser hochautomatisierten und von sozialen Medien geprägten Welt. Ich halte das durchaus für eine Gefahr, wo man wirklich überlegen muss, wie man eine gewisse Informationskorrektheit sicherstellen kann.

Was erwarten Sie sich von den Medien und welchen Beitrag kann ein Medium wie advantage leisten?

Kritische Berichterstattung, aber nicht im Sinne des Skandalisierens oder zur eigenen Auflagenstärkung, sondern kritische Berichterstattung in allen Belangen über das, wie sich Gesellschaft entwickelt und darstellt. Und dazu gehört auch etwas, was ich von der Politik und eigentlich von allen mit einverlange: die Fähigkeit zur Selbstkritik – zu einer selbstkritischen Betrachtung und Bewertung des eigenen Tuns! Und ich glaube, dass Medien wie advantage allein durch diese Fragestellung einen Beitrag dazu leisten.

Welche Botschaft haben Sie abschließend für unsere Leser:innen?

Egal ob man sich engagiert oder nicht, Politik findet statt! Und für mich hat sich nichts an diesem profanen Satz, den ich als Jugendlicher einmal in einer Wahlbewerbung für ein Jugendprogramm gefordert habe, geändert: Besser mitmischen, statt auslöffeln.

Peter Kaiser im Zukunftsgespräch mit advantage. © advantage Media

WISSENSWERT

Peter Kaiser ist seit 2013 Landeshauptmann von Kärnten und blickt auf mehr als 50 Jahre politische Tätigkeit zurück.

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