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Wirtschaft
06.09.2024

Die Koralmbahn als Chance für Süd­österreich

Mit der Fertigstellung der Koralmbahn wird sich die Mobilität in Kärnten und der Steier­mark massiv verändern.

Anfang Dezember 2023 wurde der erste Teilast der Koralmbahn in Kärnten eröffnet. Die Gesamtfertigstellung der neuen Verkehrsachse ist für Ende 2025 geplant. Damit verkürzt sich beispielsweise die Fahrt von Graz nach Klagenfurt von drei Stunden auf 45 Minuten. Eine Zeitspanne, die das Pendeln zwischen den beiden Bundesländern deutlich attraktiver macht. Eric Kirschner vom JOANNEUM RESEARCH hat die Möglichkeiten, die sich daraus ergeben, in mehreren Studien analysiert und im Gespräch mit advantage diskutiert.

Verändertes Mobilitätsverhalten

Mit der Inbetriebnahme der Koralmbahn wird sich laut Prognose von Eric Kirschner das Mobilitätsverhalten im Wirtschaftsraum Südösterreich massiv verändern. So entspricht dann eine Fahrt von Klagenfurt nach Graz ungefähr der Distanz Wien – Wiener Neustadt. Dieser Weg gilt im Osten Österreichs als „normal“ und ist dank guter öffentlicher Verbindungen auch entsprechend stark frequentiert. Der Studienautor sieht keine Gründe dafür, warum sich die Menschen im Süden anders verhalten sollten und erwartet sich – einhergehend mit der prognostizierten Zunahme an Pendler:innen – eine deutliche Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit im Wirtschaftsraum Südösterreich.

„Mit der Fertigstellung der Koralmbahn wird sich nicht nur die Wettbewerbs­fähigkeit, sondern auch die Lebens­qualität in Süd­österreich deutlich verbessern.“

Eric Kirschner, JOANNEUM RESEARCH

Lebensstandort Südösterreich

In Sachen Lebensqualität gehören Kärnten und die Steiermark zu den attraktivsten Bundesländern in Österreich. Sei es in Sachen landschaftlicher Vielfalt, Kulinarik aber auch Freizeitgestaltung. Gemäß Eric Kirschner nehmen Arbeitssuchende Pendlerstrecken mit bis zu 60 Minuten Fahrzeit – bei entsprechend guter Dotierung der Stelle sogar noch längere Wege – in Kauf, wenn der private Lebensraum dafür ihren Wünschen und Anforderungen entspricht. Immer wichtiger werden dabei weiche Standortfaktoren wie ein sicheres Umfeld, ausreichend Kinderbetreuungsplätze, Angebote im Bereich Kultur bzw. Sport oder leistbares Wohnen. Mit der Koralmbahn erschließt sich für viele Unternehmen dank der schnellen Verbindungen ein neues Arbeitskräftepotential. Im Umkehrschluss gilt das Gleiche natürlich für Arbeitnehmer:innen, die eine größere Auswahl an interessanten Stellenangeboten finden. Die Chancen auf ein passendes Matching am Arbeitsmarkt steigen. Dadurch sind auch positive Entwicklungen für die Produktivität zu erwarten.

Die „verflixte“ letzte Meile

Ein wichtiger Punkt, der oftmals die Nutzung der Öffis verhindert, und der gemäß Eric Kirschner die wohl größte Herausforderung darstellt, ist die letzte Meile – der Weg zum/vom Öffi-Bahnhof nach Hause oder zum Arbeitsplatz. Damit verbunden sind in der Regel auch diverse Alltagswege, die auf der Strecke zum Arbeitsplatz zurückgelegt werden müssen. Sei es die Kinder in die Schule zu bringen, Einkäufe zu erledigen, eine Trainingseinheit im Fitness-Studio zu absolvieren oder einen Arztbesuch zu machen. Solange diese Wege nicht miteinander verbunden wer- den können, wird es auch weiterhin Individualverkehr geben.

Erschwerend kommt in einigen ländlichen Regionen dazu, dass eine funktionierende Anbindung an die öffentlichen Verkehrsmittel logistisch nicht möglich ist. Hier gilt es, die potentiellen Pendler:innen wenigstens soweit abzuholen, als diese eine Teilstrecke zu Fuß oder mit dem eigenen Fahrzeug – im besten Fall mit Fahrrad, Scooter, E-Roller – zurücklegen und danach auf die Öffis umsteigen. Dazu braucht es allerdings eine entsprechende Infrastruktur wie Park & Ride bei Bahnhöfen oder verschließbare Abstellmöglichkeiten für Fahrräder.

„Alle müssen an einem Strang ziehen, um die Chancen, die die Koralmbahn mit sich bringt, möglichst effizient zu nutzen.“

 

Eric Kirschner, JOANNEUM RESEARCH

Gemeinsames Agieren

In Summe gilt es, die Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln so attraktiv wie möglich zu machen. Die Wege zum Bahnhof müssen sicher – im Idealfall auch schön – gestaltet sein. Die Taktung der Fahrzeiten muss abgestimmt werden, um längere Wartezeiten zu vermeiden. Arbeitgeber:innen sollten die Fahrzeiten der Öffis bei der Vereinbarung der Arbeitszeiten berücksichtigen und gegebenenfalls zusätzliche Anreize wie Diensträder oder Prämien bei der Nutzung von Öffis anbieten. Für Pendler:innen mit langen Fahrstrecken sind Vereinbarungen mit teilweisem Homeoffice bzw. Remote-Working-Möglichkeiten sinnvoll, um den Arbeitnehmer:innen das Pendeln schmackhafter zu machen.

Eine allgemeingültige Lösung, um die Öffi-Nutzung zu pushen, gibt es jedoch nicht, da jede Gemeinde anders strukturiert ist. Es gilt also seitens der Politik gezielt auf die unterschiedlichen Rahmenbedingungen vor Ort einzugehen und zusammen mit der Wirtschaft individuelle Lösungen zu finden, damit die heimische Bevölkerung möglichst bequem mit den Öffis unterwegs sein kann. „Ein Beispiel für eine gelungene Umsetzung ist die Anbindung vom Bahnhof Klagenfurt zum Lakeside Park“, so Eric Kirschner. „Die Verbindungen im 10-Minuten-Takt erleichtern und attraktivieren den Arbeitsweg für die rund 1.800 Beschäftigten vor Ort.“

Verstärkte Kooperation

Basierend auf den vorliegenden Studien streben Kärnten und die Steiermark eine noch intensivere Zusammenarbeit an. Im Rahmen einer ersten „Kärnten-Steiermark-Konferenz“ wurde bereits im Vorjahr von beiden Landesregierungen eine Absichtserklärung mit klar definierten Kooperationsfeldern unterzeichnet, um die Weichenstellung für den wirtschaftlichen Aufschwung Südösterreichs zu sichern.

WISSENSWERT

Eric Kirschner von JOANNEUM RESEARCH hat mehrere Studien rund um den Wirtschaftsraum Südösterreich publiziert und die Auswirkungen der Koralmbahn auf Kärnten und die Steiermark untersucht. Die Resultate deuten auf folgende Entwicklungen hin:

  • + 7,6 % prognostizierter Bevölkerungszuwachs bis 2075 im Kerngebiet
  • 50 Minuten effektive Reisezeit Graz-Klagenfurt
  • 35 % Anstieg der Pendelverflechtungen
  • + 2,9 % Bevölkerungswachstum in einer Gemeinde durch einen Bahnhof am Standort
  • 1,1 Millionen Menschen im neuen Ballungsraum
  • 130.000 Personen im produzierenden Bereich
  • 32.000 Arbeitgeber*innen
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