„Trump übernimmt den Überflieger aller Volkswirtschaften. Selbst der ärmste Bundesstaat in den USA hat ein höheres BIP pro Kopf als Deutschland.“
Geopolitische Analyse zeigt „Ära der globalen Unordnung“
Christian Kesberg ist als Vortragender, Autor, Podcaster und Berater zu Geopolitik und geopolitischem Risikomanagement tätig. In einer umfangreichen Präsentation vor Unternehmer:innen und Führungskräften analysierte er kürzlich die aktuellen globalen Entwicklungen und ihre weitreichenden Folgen für Volkswirtschaften, Gesellschaften und unternehmerisches Risiko. Dabei skizzierte der renommierte Geopolitik-Experte ein instabiles „geopolitisches Lagebild“ – bestimmt von gewaltbereiter Machtpolitik, Blockbildung und Systemkonflikten sowie von Populismus, Klimakrise und bedrohlichem technologischen Wandel.
Zeitalter der Zukunftsängste
Kesbergs Präsentation verdeutlichte, dass diese überlappenden Krisen – verstärkt durch die Schockwirkung von Pandemie und Ukrainekrieg – die Welt nach Jahrzehnten der geopolitischen Sorglosigkeit und Langeweile nun in ein neues Zeitalter der „globalen Unordnung“ manövrieren. Hinzu kommt, so Kesberg, dass Informationen über Krisen, Kriege und Katastrophen nun in Echtzeit ankommen und sich in den Köpfen der Menschen zu allgegenwärtigen Zukunftsängsten verdichten, was den Boden für Nationalpopulisten, Autokraten und Despoten aufbereitet.
Akteure für stabile Weltordnung fehlen
Kesberg hob vor allem die veränderte Rolle der führenden Weltmächte hervor: Während die USA sich zunehmend auf eigene Interessen fokussieren und „America First“ zur neuen Maxime einer Politik von Isolation und Transaktion machen, fehle es derzeit an anderen starken Akteuren, die eine stabile Weltordnung mitgestalten könnten. Europa sei zu uneinig und wirtschaftlich geschwächt, Indien vorrangig mit eigenen nationalen Interessen beschäftigt, und China wirtschaftlich angeschlagen. Russland fehle als Schurkenstaat jede Legitimität für eine Führungsrolle.
„Trumponomics“ im Fokus
Zu den zentralen Themen des Vortrags zählte auch die zweite Amtszeit von Donald Trump. Kesberg dazu: „Nichts wird mehr so sein wie in seinen ersten vier Jahren.“ Trump plane eine Zentralisierung der Macht, die Politisierung unabhängiger Behörden sowie eine aggressive Wirtschaftspolitik mit „der Zollkeule als Drohgebärde und Sanktionsmechanismus“. Damit manövrierten die USA in eine Ära des politischen Vandalismus, der ob der Übermacht und Beispielwirkung Amerikas auch weltweit die Aushöhlung demokratischer Normen, politischer Institutionen und rechtsstaatlicher Prinzipien vorantreibt. Zugleich bleibe die USA wirtschaftlich eine allen anderen Akteuren weit überlegene Supermacht. „Trump übernimmt den Überflieger aller Volkswirtschaften. Selbst der ärmste Bundesstaat in den USA hat ein höheres BIP pro Kopf als Deutschland,“ so Kesberg.
Die Gründe dafür sind vielfältig: So habe Amerika unter anderem einen großen Kapital- und Verbrauchermarkt mit immensen Skaleneffekten, einen mobilen Arbeitsmarkt, weltbeherrschende Technologiefirmen und riesige Energiereserven. „Amerikanische Firmen zahlen ein Viertel von dem für Energie, was man in Österreich zahlt“, so der Geopolitik-Experte. Angekündigte Steuersenkungen würden die Unternehmensgewinne kurzfristig steigen lassen, und maßvolle Deregulierung sei grundsätzlich nicht schlecht. Ob all dies tatsächlich mittelfristig als Investitions- und Innovationstreiber wirken wird, bleibe jedoch mehr als unsicher.
China in der Krise
China, das in der Vergangenheit gegenüber den USA rasch aufgeholt habe, jetzt aber wieder massiv zurückfalle, stecke derzeit in einer tiefen Krise. Kesberg dazu: „Eine alternde Bevölkerung, hohe Schulden und wirtschaftliche Stagnation setzten das Land unter Druck.“ Gleichzeitig werde die US-Politik gegenüber China zunehmend konfrontativ. Ein Handelskrieg sei ebenso wahrscheinlich wie eine Eskalation in der Taiwan-Frage. „Irgendwann wird es dort krachen – die Frage ist eigentlich nicht ob, sondern eher wann“, ist sich der Experte sicher.
„Wir müssen uns darauf einstellen, dass Konflikte und Feindseligkeiten die Beziehungen zwischen Russland und Europa über die nächsten Jahrzehnte prägen werden.“
Russland: Politik der Destruktion
Weil die Militärgroßmacht Russland wirtschaftliche keine Rolle spielt und nur in einer Welt der Konflikte und Kriege geopolitisch relevant bleibe, sei Putin bestrebt, die westlichen Demokratien und die USA zu destabilisieren. Dabei setze das Land auf hybride Kriegsführung, Cyberangriffe und Desinformation. „Eine Politik der Destruktion gegenüber Europa soll verhindern, dass die EU ein selbstständiger und handlungsfähiger Akteur auf der Weltbühne wird. Denn eine „gerade noch“-Weltmacht tut sich in einer Drei-Mächte-Welt leichter als in einer Vier-Mächte-Welt“, erklärt Kesberg. „Wir müssen uns darauf einstellen, dass Konflikte und Feindseligkeiten die Beziehungen zwischen Russland und Europa über die nächsten Jahrzehnte prägen werden.“
Herausfordernde Zukunft für Europa
Für die Position Europas zeichnet Kesberg ein eher düsteres Szenario: Die EU – ein Fleckenteppich aus Kleinstaaten – sei von den aktuellen geopolitischen Verschiebungen überproportional herausgefordert: Handelskonflikte, nationale Egoismen, mangelnde Innovationskraft und hohe Importabhängigkeit im Energiesektor sowie rigide Arbeitsmärkte oder die Fragmentierung der Unternehmenslandschaft seien nur einige der Schwachstellen. Defizite in Agilität und Kohärenz der Entscheidungsfindung gegenüber den auf Einzelpersonen zugeschnittenen Führungsstrukturen in den USA und China, die Bedrohung durch Russland und Verteilungsdruck durch steigende Ausgaben für Verteidigung oder volatile Energiemärkte stellten sowohl die Einheit als auch die geopolitische Relevanz und wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit der EU künftig auf eine harte Probe.
Kesbergs Vortrag verdeutlichte, dass politische Akteure und Unternehmen sich auf eine Phase der geopolitischen Unsicherheit vorbereiten müssen. Dabei warnte der Experte vor den Folgen der zunehmenden geopolitischen Fragmentierung und hob die Dringlichkeit strategischer Weitsicht in Wirtschaft und Politik hervor.
1. V. l.: Wolfgang Pucher, Geschäftsführer Junge Industrie Kärnten, Geopolitik-Experte Christian Kesberg, IV-Kärnten-Geschäftsführerin Claudia Mischensky, JI-Kärnten-Vorstandsvorsitzender Edgar Jermendy und JI-Vorstandmitglied Paul Podhajsky
2. Christian Kesberg und Edgar Jermendy bei der Präsentation. © Helge Bauer