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Wirtschaft
07.09.2024

"Hinter all diesen Super­lativen stehen Menschen"

Klaus Schneider ist ÖBB-Gesamt­koordinator der Koralm­bahn und blickt mit advantage auf fast 30 Jahre Projekt­laufzeit zurück.

advantage: Wie war Ihr persönlicher Werdegang in Bezug auf die Koralmbahn?

Klaus Schneider: Nach meinem Studium war ich Assistent an der TU Graz am Eisenbahninstitut bei Prof. Rießberger. Dort gab es erste Berührungspunkte, als die Südostspangenstudie in den 1990-er Jahren erstellt worden ist. Nach kurzen Stationen in Vorarlberg und Australien bin ich schließlich seit 1997 mit dem Projekt betraut und habe fast mein gesamtes Berufsleben der Koralmbahn gewidmet.

Wenn man an die Koralmbahn denkt, denkt man automatisch an den 33 Kilometer langen Koralmtunnel, der das steirische Deutschlandsberg mit dem Kärntner Lavanttal verbindet.

Ja, der Tunnel ist das Verbindungsglied, das auch die Logik und die Funktion dieser Achse ermöglicht. Er ist natürlich auch DAS herausragende, technische Bauwerk mit Superlativen. Doch ist er auch nur Mittel zum Zweck und das ist mir immer wichtig. Er bewirkt, dass man den Süden und die Regionen besser mit dem Rest Europas verbindet und dass die Menschen, die dort leben, etwas davon haben. Und das ist das Relevante. Aber mir ist ganz klar, der Tunnel hat Strahlkraft: sechstlängster Eisenbahntunnel der Welt und Weltrekord im Vortrieb. Wir sind mit der Tunnelbohrmaschine (TBM) knapp 17 Kilometer in eine Richtung gefahren.

Welche Meilensteine markieren für Sie das Gesamtbauvorhaben?

Die ersten Jahre haben wir damit verbracht, die Linienführung im Konsens mit den Regionen, den Gemeinden und den Interessensvertretungen zu finden. Dieser Prozess war irrsinnig wichtig, denn das Finden einer tragfähigen Lösung ist immer ein Geben und Nehmen. Das war der erste wesentliche Meilenstein so um die 2000-er Jahre, als wir eine durchgehende Trasse im Konsens mit den Regionen gefunden haben, die schließlich die Basis für die weitere Planung, aber auch für die Behördenverfahren und Genehmigungen bildete. Zweiter wichtiger Meilenstein war die Inbetriebnahme der ersten Neubaustrecke von Werndorf nach Wettmannstätten in der Steiermark im Jahr 2010. Hier hat für den Regionalverkehr bereits eine spürbare Veränderung in punkto Fahrtzeiten stattgefunden.

Der dritte riesige Meilenstein waren mit Sicherheit die Tunneldurchschläge der Südröhre 2018 (von der Steiermark in Richtung Kärnten) und 2020 der Nordröhre (von Kärnten in Richtung Steiermark). Dieser zweite Durchschlag war fast noch emotionaler als der erste. Nicht zuletzt deshalb, weil sich das in der Hochblüte der Coronazeit abspielte. Wir hätten den Durchschlag bereits im März 2020 erreichen sollen, tatsächlich war es dann aber erst im Sommer möglich. Das war sicherlich auch einer jener Momente, der mich persönlich am meisten ergriffen hat. Man darf nicht vergessen, hinter all diesen Superlativen stehen Menschen. Menschen, die dort gearbeitet haben. Menschen, die sich damit beschäftigt haben und selbst diese TBM ist von einem Team aus Menschen gesteuert worden. Das wurde nochmals sichtbarer. Letztes Jahr konnten noch zwei weitere wichtige Meilensteine gefeiert werden: Die erste Fahrt mit einem Personenzug durch den Koralmtunnel und die Inbetriebnahme der Kärntner Seite der Koralmbahn im Dezember.

„Ein Projekt über einen so langen Zeitraum stabil zu halten in seinen Grund­festen ist eine Riesenchallenge.“

Klaus Schneider, ÖBB-Gesamt­koordinator der Koralmbahn

Welche Vorbereitungen sind bis zur Vollinbetriebnahme noch zu treffen?

Im Unterschied zur Straße und sonstigen Infrastrukturanlagen ist das Eisenbahnsystem sehr komplex, weil der Fahrweg untrennbar mit den Fahrbetriebsmitteln verbunden ist. Nur zusammen funktioniert das alles. Die großen Vorteile, die sich daraus ergeben, sind Vorausplanbarkeit, Pünktlichkeit und die große Leistungsfähigkeit. Aber es ist wahnsinnig viel Hightech notwendig, damit es so funktioniert wie es funktionieren soll. Bis Ende 2024 werden die baulichen Anlagen (wie Energie- und Steuerungstechnik, Fahrleitungen, GSM-R, Sicherheitstechnologie) fertiggestellt sein. Dann haben wir ein ganzes Jahr Zeit, diese zu prüfen und betriebsfähig zu machen. Sie müssen quasi mit dem Rest der ÖBB-Welt kommunizieren. Das werden wir in den ersten Monaten 2025 noch einmal durchtesten.

Ab dem Frühjahr werden dann Testfahrten durchgeführt, d. h. wir fahren mit den Zügen 250 km/h und messen, ob tatsächlich alles so funktioniert, wie wir das vorgesehen haben. Zudem gibt es u. a. Schulungsfahrten für die Triebfahrzeugführer, Übungen mit Feuerwehr und Rettung sowie Schulungen für die Instandhalter. Sicherheit ist eines der höchsten Güter bei der Eisenbahn. Im Oktober folgt dann eine weitere Phase, wo wir mit dem Güterverkehr in Betrieb gehen werden, um sozusagen im echten Regelbetrieb noch einmal zu testen, damit drei Monate später – am 14. Dezember 2025 – wirklich mehrfach gesichert und getestet die Anlagen für den Personenverkehr in Betrieb genommen werden können. Im Zuge dessen findet auch der Fahrplanwechsel statt. Das wird der letzte große Meilenstein des Jahrhundertprojekts Koralmbahn, der uns mit Sicherheit sehr bewegen wird.

„Ich glaube, man muss den Menschen Vertrauen geben, dann über­nehmen sie auch den zweiten Faktor, nämlich die Eigen­verantwortung.“

Klaus Schneider, ÖBB-Gesamt­koordinator der Koralmbahn

Was sind aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen eines solchen Projektes?

Sicherlich die lange Projektdauer von fast 30 Jahren. In dieser Zeit hat so viel Veränderung stattgefunden. Einerseits technologisch und andererseits auch gesellschaftlich. Ein Projekt dann trotzdem stabil zu halten in seinen Grundfesten ist eine Riesenchallenge, auch was die Kosten betrifft. Im internationalen Kontext betrachtet sind Milliardenprojekte sehr oft mit Faktoren belegt, wo man sagt, das ist doppelt oder dreimal so teuer. Wir haben, nachdem wir die Trassen gewusst haben, eine Kostenschätzung durchgeführt 2005/2006. Und wir sind von diesem Ausgangswert auf vier Prozent genau stabil geblieben über 20 Jahre. Das ist sicher ein Weltrekord und darauf sind wir wirklich stolz. Das ist präzise Arbeit und hartes Projektmanagement gewesen. Insgesamt sprechen wir von 6,1 Mrd. Euro Auftragsvolumen (inkl. 0,5 Mrd. Euro Zusatzbestellung Flughafenast Graz).

Wie ist so etwas erreichbar?

Weil die Menschen gut zusammengearbeitet haben und da sind ein paar Erfolgsfaktoren essentiell. Ein Team lebt von Vertrauen und Eigenverantwortung. Und was auch dazu gehört ist eine Vision. Man muss an irgendetwas glauben, eine Vorstellung von etwas haben. Und Begeisterung braucht es auch. Man muss brennen für etwas und dieses Brennen weitergeben. Das sind ein paar Soft Skills, die mich in 30 Jahren geprägt haben. Ein weiterer Erfolgsfaktor ist auch die heimische Wertschöpfung des Projektes. Rund 97 % der beteiligten Unternehmen sind österreichische Betriebe, die sich in EU-weiten Ausschreibungen durchsetzen konnten. Da kommt österreichisches Ingenieurs-Know-How zum Tragen, sowohl im Tunnelbau, als auch im Bahnbau. Wir sind wirklich eine Eisenbahnnation und haben da schon echtes Weltpotenzial.

WISSENSWERT

130 Kilometer neue Strecke, davon 47 Tunnelkilometer, über 100 Brücken sowie 23 moderne Bahnhöfe und Haltestellen:

Die Koralmbahn verkürzt die Reisezeit zwischen Graz und Klagenfurt ab Dezember 2025 auf nur 45 Minuten und ist Teil der neuen Südstrecke. Herzstück bildet der 33 Kilometer lange Koralmtunnel mit 2 eingleisigen Röhren und einem Durchmesser von 10 Metern. Alle 500 Meter befinden sich Querschläge.

1. Die beiden 33 km langen Tunnelröhren durch die Koralpe zählen zu den spektakulärsten Bauwerken der Welt. © ÖBB/Franz Georg Pikl
2. Die Tunnelbohrmaschinen (TBM) durchquerten das Gebirgsmassiv der Koralpe mit Überlagerungen von bis zu 1.200 Metern. © ÖBB/Wolfgang Werner
3. Die Koralmbahn ist eines der bedeutendsten Infrastrukturprojekte Europas. © ÖBB/Pachoinig

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