"Umweltschutz braucht Schulterschluss. Es darf nicht sein, dass mit diesem Thema ständig und immer öfter politisches Kleingeld verdient wird.“
Klimaschutz muss Spaß machen
Im Rahmen des 6. Forum Anthropozän in Heiligenblut widmete sich der Umweltmediziner dem Thema „Essen gegen den Klimawandel“. Anlass Hans-Peter Hutter zum advantage Zukunftsgespräch zu bitten. Sein Appell: Die wissenschaftliche Faktenlage endlich ernst nehmen und den Klimawandel außerhalb des politischen Diskurses stellen!
advantage: Was können wir aus Ihrer Sicht tun, damit die Transformation doch noch gelingen kann?
Hans-Peter Hutter: Die wissenschaftliche Evidenz ernst nehmen und auch endlich die dringenden Empfehlungen umsetzen! Und nicht durch Österreich herumreisen und sagen, dass wir ein Autoland sind. Oder die Bevölkerung aufschrecken, dass die Klimaaktivisten nun jedem sein Schnitzerl wegnehmen wollen. Es muss einen politischen Schulterschluss geben in punkto Klimaschutz! Ja, ich weiß, das ist nach wie vor Wunschdenken. Leider haben wir viele Jahre verloren, die wir hätten nützen können für eine kluge und ehrliche Transformation in eine enkeltaugliche Zukunft. Immerhin haben wir das Pariser Abkommen unterschrieben: Ganz ehrlich, wenn ich einen Kaufvertrag unterschreibe, dann bin ich doch auch daran gebunden. Aber scheinbar hat das nach wie vor für etliche Staaten nicht so eine Bindung, als dass man das auch tatsächlich umsetzt, was man unterschrieben und versprochen hat.
Wie könnte die Umsetzung aussehen?
Und jetzt eine positive Nachricht: Wir wissen eigentlich alles, was wir zu tun haben. Maßnahmenpläne gibt es viele. Konzepte und Überlegungen existieren bereits ausreichend. Dazu kommt, dass es schon sehr viele Menschen gibt, die sich ohnedies für Klimaschutz einsetzen. Die sind halt oft nicht wirklich sichtbar, es sind viele Einzelkämpfer. Es braucht aber deutlich mehr – politische –Rahmenbedingungen, damit die Bevölkerung auch das leicht tun kann, was wir – wissenschaftlich fundiert – schon längst dringend empfehlen.
Was ist die Aufgabe der Medien in diesem Prozess?
Einerseits müssen die Medien jene vor den Vorhang holen, die blockieren und behindern. Andererseits aber vor allem jene Menschen unterstützen und belohnen, die sich bemühen und die zeigen, dass wie es weiter geht. Auch gilt es dort energisch einzugreifen, wo es um Wissenschaftsfeindlichkeit geht.
Wie lautet Ihr Appell an die Entscheidungsträger?
Nummer Eins ist, dass man das Thema Klima außerhalb des politischen Diskurses stellt. Das ist eine Forderung, die der Umweltschutz insgesamt benötigt, sodass das kein Streitthema ist, wo man versucht dort und da gewisse Wählergruppen an sich zu ziehen. Umweltschutz braucht Schulterschluss, sonst funktioniert das nicht in ausreichendem Ausmaß. Es darf nicht sein, dass mit diesem Thema ständig und immer öfter politisches Kleingeld verdient wird. Genau das Gegenteil ist notwendig: Umweltschutz ist Gesundheitsschutz. Das geht uns alle an – speziell unsere Kinder und Kindeskinder.
Welche Rolle spielt die Ernährung in punkto Klimadebatte?
Es geht nicht nur um die Klimakrise, sondern auch um die Biodiversitätskrise. Beide Weltprobleme gehen ja Hand in Hand und haben fatale Folgen für uns, die wir hier auf diesem Planeten in Frieden und nicht mit lauter Konflikten, wo es auch um die Ernährungsbasis geht. Daher ist die Verantwortung der Landbewirtschaftung groß, speziell weil gerade die industrialisierte Landwirtschaft der größte Treiber der Biodiversitätskrise ist. Gleichzeitig aber auch Opfer der Klimakrise. Das darf man nicht vergessen. ‚Regional – saisonal – biologisch‘: Das ist doch ein einfaches, leicht nachvollziehbares Grundprinzip. Leider ist es offensichtlich noch nicht bei allen im Agrarsektor bewusst.
Das Mantra „Ohne Fleisch geht es nicht“ ist sehr stark in unserer Gesellschaft verankert. Wie stehen Sie dazu?
Fleisch ist eine Eiweißquelle, aber nicht die Einzige. Ich habe nichts dagegen einzuwenden, wenn Fleisch unter Berücksichtigung des Tierwohls erzeugt wird und in einem gewissen Ausmaß verzehrt wird. Aber es muss endlich eine gewisse Vernunft in Bezug auf die fleischlastige Ernährung her. Immerhin ist ein Viertel der Treibhausgase der Lebensmittelproduktion zuzuschreiben. Und mehr als die Hälfte davon ließe sich einsparen, wenn wir uns auf flexitarische Ernährung umstellen, also maßvoll Fleisch und mehr pflanzliche Lebensmittel essen. Das ist ausbalancierter und ernährungsphysiologisch optimaler. Aus medizinischer Sicht ist klar zu sagen: Österreich ist kein Land, wo wenig Fleisch bzw. Wurstwaren konsumiert werden. Gerade was die Männer betrifft: Sie überschreiten mit rund 900–1.320 Gramm pro Woche das, was ernährungs-physiologisch gesund wäre, nämlich 300 bis 450 Gramm pro Woche (Anm.: Frauen ca. 480 –550 Gramm pro Woche). Selbst wenn man nur eine Portion weglässt, reduziert das den CO2-Fußabdruck und ist gut für die eigene Gesundheit: So kann man Herz-Kreislauf-Erkrankungen und auch Krebserkrankungen–speziell Dickdarmkrebs–einfach und effizient vorsorgen. Kurz gesagt: Man hat nur Vorteile.
Welche Botschaft richten Sie konkret an die Wirtschaft?
Endlich ernst nehmen, was die Wissenschaft seit Jahren empfiehlt und es auch wirklich umsetzen. Egal welcher Sektor unserer Gesellschaft oder Wirtschaftszweig: Mittlerweile gibt es genügend Best Practice bzw. Vorzeige-Beispiele, die zeigen wie es geht mit mehr Achtsamkeit, mehr Nachhaltigkeit und einer verbesserten sozialen Verträglichkeit. Und da geht es nicht darum, dass einen Betrieb von heute auf morgen 100 % umzustellen. Es geht um die vielen kleinen Schritte, die man verbessern kann von der Optimierung der Energiebilanz über das betriebliche Mobilitätsmanagement bis hin zur Betriebskantine. Es braucht auch ein neues Kostenbewusstsein. Wenn man sich die Kosten für ein Nichthandeln im Klimaschutz anschaut, dann kostet uns das in Österreich schon heute mit 15 Milliarden Euro jährlich ein Vermögen. Tendenz steigend.
Das bedeutet letztlich, dass jeder Schritt für das Klima CO2 und Kosten spart?
Ja, und es ist auch gut für die Gesundheit. Und die wichtigste Botschaft: Alles was mit Klimaschutz zu tun hat, muss Spaß machen. Ganz ehrlich: Wenn man fit ist und länger gesund bleibt, was gibt’s da Besseres, Lässigeres?. Der Umgang damit, das Image von Umwelt- und Klimaschutz, das muss besser, cooler, peppiger werden. Einfach dynamischer, es muss leiwand und lustig sein. Es braucht Anreize, auch in den einzelnen Betrieben. Und da ist jeder und jede aufgerufen, kreativ zu sein. Wir brauchen Ideen ohne Ende. Und zwar jetzt. Wir haben leider nicht mehr viel Zeit, aber DIESE Zeit müssen wir nützen und nicht immer nur sagen „wir in Österreich können nix machen.“ Wir schaffen es nur, wenn alle zusammenhalten. Das ist für mich eine Frage der Solidarität und es ist ein Kampf für eine Zukunft, die wir gemeinsam gestalten können.