Immer noch erlernen zu wenig Mädchen technische Berufe.
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Bildung
08.04.2021

Prozesstechnik müsste mindestens so berühmt wie Mechatronik sein

Die Industrie sucht die Fachkräfte von morgen. Über 250 Lehrstellen sind heuer in der Kärntner Industrie zu besetzen. Reinhard Pasterk im Interview zur vielseitigen Industrie-Lehre.

Seit letztem Jahr ist Reinhard Pasterk Leiter des Arbeitskreises „Lehrlingsausbildung“ der Industriellenvereinigung (IV) Kärnten. Pasterk ist Werksleiter bei Hermes Schleifmittel in Bad St. Leonhard. Mit advantage sprach er über die Lehrlingssituation in der Industrie.

advantage: Woran arbeitet der Arbeitskreis Lehrlingsausbildung der IV Kärnten?

Reinhard Pasterk: Der Arbeitskreis arbeitet ganz grundsätzlich an der Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Industrielehre in Kärnten. Das betrifft gesetzliche Rahmenbedingungen, Förderungen – etwa für Investitionen in die Lehrwerkstätten oder für zwischenbetriebliche Lehrlings-Zusatzausbildungen der Industrie. Vor allem wirkt der Arbeitskreis aber auch nach innen, weil er Plattform der Lehrlingsausbildner ist und Wissens- und Erfahrungsaustausch ermöglicht. Nach außen setzt er sich für die Verbesserung des Images der Lehre ein. Dazu gibt es etwa die Online-Plattform www.inlehre.at, den Lehrlingswettbewerb der IV, den massiven Auftritt der Industriebetriebe auf der Lehrlingsmesse.

Knapp 70 Prozent der Lehrlinge fokussieren sich auf zehn (klassische) Lehrberufe. Kommt da die Industrielehre zu kurz? Was sind die Gründe?

Das Angebot an Lehrberufen in Österreich ist wirklich sehr vielfältig. Und Sie haben Recht, die meisten Jugendlichen entscheiden sich dann doch für einen der Top-Ten-Berufe. Unter diesen Berufen sind auch viele, die in der Industrie – meist neben dem Gewerbe – auch ausgebildet werden. Metalltechnik, Elektrotechnik, Mechatronik sind nicht nur in der Industrie die Renner, das sind Berufe mit der besten Ausbildungsqualität in der Industrie und ausgezeichneten Aussichten auf eine stabile berufliche Zukunft in einem unserer Betriebe. Schade ist natürlich, dass immer noch zu wenige Mädchen technische Berufe erlernen – aber auch da möchte ich durchaus mit Stolz sagen, dass in den Top-Ten-Berufen der Mädchen ein technischer Beruf der Industrie dabei ist – die Metalltechnik. Metalltechnikerinnen sind mittlerweile in unseren Betrieben keine Ausnahme mehr, wir freuen uns aber über mehr junge Frauen, die Industrieberufe erlernen wollen und sind als Unternehmen in jeder Hinsicht darauf vorbereitet.

Gibt es Lehrberufe, bei denen es besonders schwer ist, Lehrlinge zu finden? Welche?

Interessanterweise haben einige Betriebe Schwierigkeiten, die Lehrstellen für Prozesstechnikerinnen und Prozesstechniker zu besetzen. Dabei ist das so ein spannender Beruf, der so vielfältig in Fertigungsbetrieben eingesetzt werden kann. Der Beruf Prozesstechnik müsste mindestens so berühmt wie die Mechatronik sein. Wir arbeiten daran, die Prozesstechnik mehr in das Licht der Öffentlichkeit zu rücken!

Welche sind die beliebtesten Lehrberufe in der Industrie?

Ich würde da die Mechatronik nennen, dann die Metalltechnik-Berufe mit den unterschiedlichen Modulen und die Berufe der Elektronik bzw. Elektrotechnik in den verschiedenen Kombinationen (Modulen). Natürlich sind im Labor- und Chemiebereich auch tolle Berufe im Angebot. Und schließlich sind die Holz- und Zimmereitechniker, die Bauberufe und auch Büroberufe in der Industrie (z. B. Industriekaufleute, Logistik, Bürokaufleute etc.) beliebt.

Reinhard Pasterk

"Interessanterweise haben einige Betriebe Schwierigkeiten, die Lehrstellen für Prozesstechnikerinnen und Prozesstechniker zu besetzen."

Welches Know-how wird zukünftig in der Industrie benötigt? Welche Skills sind besonders gefragt?

Handwerkliches Geschick! Das zeigen auch unsere jährlichen Umfragen dazu, worauf die Firmen bei der Einstellung neuer Lehrlinge achten. Und dann natürlich logisches Denken und Mathematik. Im Beruf später werden neben den technischen Fertigkeiten im jeweiligen Beruf natürlich auch digitale Kompetenzen und Social Skills benötigt. Da bietet die Industrie schon in der Ausbildung ihrer Lehrlinge viel Zusätzliches an.

87 Prozent der Industrie-Lehrlinge werden am Ende der Lehrzeit übernommen. Ist das zu wenig Argument für eine Lehre in der Industrie?

Wer es in die Industrielehre geschafft hat, der hat sehr große Chancen, nach der Ausbildung übernommen zu werden. Die Ausbildung und die intensive Betreuung der Lehrlinge sind übrigens inzwischen so gut, dass schon fast die Hälfte unserer Industrielehrlinge mit ausgezeichnetem Erfolg bei der Lehrabschlussprüfung abschließen. Jedenfalls die von den Mitgliedsbetrieben der Industriellenvereinigung, die sich an unserer jährlichen Umfrage, dem Lehrlingsbarometer, beteiligen. Und für viele junge Facharbeiter ist nach der Übernahme in den Betrieb der Plafond noch lange nicht erreicht. Mit der soliden und hochqualitativen Lehrlingsausbildung in der Industrie ist die Basis für die weitere Karriere im Unternehmen und den weiteren Bildungsweg gelegt. Außerdem darf man nicht vergessen, dass der Lehrling schon während der Lehrzeit Geld verdient und sich weiterentwickelt, während andere noch in der Schule sind oder im Studium und auf das Taschengeld der Eltern angewiesen sind.

Wie kann man Jugendliche für MINT (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) schon in der Schule begeistern? Wird MINT in Kärnten/Österreich zu sehr vernachlässigt?

Dazu gibt es inzwischen schon bewährte Instrumente. Das muss übrigens schon im Kindergarten ansetzen. Die Industriellenvereinigung Kärnten (eigentlich Junge Industrie) hat hier gemeinsam mit dem Klagenfurter Kindergarten Sonnenschein und unterstützt von der Raiffeisen Landesbank ein eigenes Ausbildungsmodell für Elementarpädagoginnen entwickelt und ausgerollt. Und auch sonst gibt es Initiativen zur Förderung der MINT-Begeisterung. Vernachlässigt wird es also nicht. Was jedoch noch ausbaufähig ist, ist die tatsächliche Begeisterung der Menschen für MINT. Übrigens sehen wir im Kindergarten zwischen Mädchen und Burschen überhaupt keinen Unterschied in der Neugierde gegenüber MINT. Geschlechterstereotypen entstehen oft erst später, da gilt es auch anzusetzen, dass diese Vorurteile aufgebrochen werden.

"Wer es in die Industrielehre geschafft hat, der hat sehr große Chancen, nach der Ausbildung übernommen zu werden."

Reinhard Pasterk

Die IV Österreich hat die Idee von „Lehrlings-Hubs“, um mehr Industrielehrlinge zu gewinnen. Was halten Sie von dieser Idee? Gibt es weitere Ideen?

Jeder Ansatz, um junge Menschen in die Ausbildung zu bringen, die ihnen liegt und mit der sie dann später im Beruf Erfolg haben und Sinn bei der Arbeit verspüren können, ist richtig. Lehrlings-Hubs sollen ja auch die regionalen Unterschiede beheben helfen. Mancherorts gibt es zu wenige Lehrstellen, anderswo zu viele Junge, die eine Lehrstelle suchen. Mit Lehrlings-Hubs könnte man Leben und Lernen der Jugendlichen im Wunschberuf modern und optimiert gestalten.

Eine Art der Konzentration von Ausbildungskompetenzen (gerade in den Industrielehrwerkstätten sind oft teure Ausbildungsmaschinen und –infrastruktur nötig) an einem Ort sind ja auch die zwischenbetrieblichen Lehrwerkstätten, wo Lehrlinge mehrerer Firmen aus einem gewissen Einzugsgebiet top ausgebildet werden. Das ist ein in der Kärntner Industrie seit vielen Jahren gelebtes Erfolgsmodell.

Durch das lange Distance Learning sind nachweislich Bildungslücken entstanden. Das wirkt sich auch auf die Lehre aus. Wie könnte man da entgegenwirken?

Das ist kein spezifisches Thema der Lehre. Das betrifft jede Art von schulischer Ausbildung. Die Zeit der Pandemie und die Auswirkungen im Bildungswesen sind sicherlich enorm. Dennoch steht die Industrie zu ihrem Vorhaben, auch weiter Lehrlinge aufzunehmen und bestmöglich auszubilden. Das tun wir ja schon jetzt. Wie schon gesagt: In der Industrie werden die Lehrlinge umfangreich beim Lernen unterstützt (Zusatzschulungen, Nachhilfeangebote etc.). Sonst würden wir die herausragenden schulischen Leistungen und Lehrabschlussprüfungs-Ergebnisse nicht zustande bringen. Wir schauen aber bei der Einstellung neuer Lehrlinge auch darauf, mit welchem Rüstzeug die jungen Menschen ankommen. Wenn die Grundkompetenzen viel zu niedrig ausgebildet sind, wird auch das Erlernen eines hochmodernen Industrie-Berufs nicht funktionieren. Da muss man fair und auch ganz offen sein. Wenn bedingt durch die Pandemie Jahrgänge vielleicht etwas mehr Unterstützung beim Lernfortschritt in der Lehre brauchen werden, dann bin ich sicher, dass die Industriebetriebe auch hier ihre Aufgaben erledigen werden. Schließlich geht es um unsere zukünftigen Fachkräfte. Und die werden wir brauchen, das ist schon einmal sicher!

In kurzen Worten: Was spricht für eine Industrielehre?

Ihre hohe Qualität, die Durchlässigkeit: Lehre mit Matura ist ein immer häufiger gewähltes Modell. Dazu kommt die Lehre nach der Matura. Inzwischen bieten einige Betriebe schon Lehre mit Studium an. Die Fachhochschule und die Fachberufsschule Villach sind hier wichtige Partner der Unternehmen. Dazu kommen die perfekte technische Ausstattung der Ausbildungsbetriebe und die intensive Betreuung durch fast durchwegs hauptberufliche Lehrausbildner, die den jungen Menschen viel mehr als nur technische Fertigkeiten beibringen.

Immer noch erlernen zu wenig Mädchen technische Berufe.
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