Umfassende Inklusion ist alternativlos
In Österreich gibt es zahlreiche Vereine und Organisationen, die sich mit vollem Engagement für die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie deren Inklusion in Gesellschaft, Beruf und Bildung einsetzen. Rund um den internationalen Aktionstag für Menschen mit Behinderungen wird daher auf die wertvolle Arbeit aufmerksam gemacht, die in dem Bereich geleistet wird. Allerdings zieht man auch das Fazit: Es gibt noch viel zu tun!
UN-Fachausschuss kritisiert Österreich
Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) wurde 2008 von Österreich ratifiziert. Eine Umsetzung der in der Konvention vereinbarten Ziele wurde in vielen Bereichen allerdings noch nicht erreicht. So kritisierte der UN-Fachausschuss erst im August dieses Jahres im Rahmen der Staatenprüfung Österreichs die mangelhafte Umsetzung, zum Teil gibt es sogar Rückschritte gegenüber der letzten Prüfung im Jahr 2013.
Besorgt zeigt sich der Ausschuss unter anderem über die unverhältnismäßig hohe Armutsquote von Menschen mit Behinderungen und empfiehlt Österreich, mit wirksamen Maßnahmen gegenzusteuern. Ein anderer wesentlicher Kritikpunkt ist, dass es in Österreich keine Mechanismen und Verfahren zur Bekämpfung von Mehrfach- und intersektionaler Diskriminierung von Frauen mit Behinderungen gibt. Daher fordern Organisationen aus der Inklusionsarbeit dringende Änderungen.
Soziale Absicherung als Grundbedingung
Gemäß der UN-BRK gilt das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard und sozialen Schutz als Grundlage für gesellschaftliche Teilhabe. Um dies auf nationaler Ebene umzusetzen, bedarf es auch Anstrengungen der Bundesländer, die für Armutsbekämpfung und soziale Absicherung auf Landesebene zuständig sind.
Wie Martin Marlovits, stv. Fachbereichsleiter Erwachsenenvertretung bei VertretungsNetz, jedoch ausführt, sind es gerade die Länder, die in der Umsetzung ihrer Verpflichtungen säumig sind. „Menschen mit Behinderungen erhalten durch das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz des Bundes und die darauf aufbauenden Ausführungsgesetze der Länder nicht nur keine Unterstützung, sondern werden oft weiter ausgegrenzt und in prekäre Lebenssituationen gedrängt“, kritisiert er.
In fast allen Bundesländern zwingen Sozialbehörden Menschen mit Behinderungen, die auf Sozialhilfe angewiesen sind, finanziellen Unterhalt bei ihren Eltern gerichtlich einzufordern. Ansonsten wird die Sozialhilfe empfindlich gekürzt, meist um mehrere hundert Euro. Auch die Volksanwaltschaft sieht hier Handlungsbedarf seitens der Politik.
„Menschen mit Behinderungen können zwar viele Unterstützungsleistungen bekommen, aber sie haben keinen Rechtsanspruch darauf. Österreich muss weg vom Almosen, hin zum Anspruch“, sagt Volksanwalt Bernhard Achitz. Benachteiligungen gibt es etwa am Arbeitsmarkt, wo Menschen mit Behinderungen oft nur ein Taschengeld statt Lohn bekommen.
Recht auf Bildung
Inklusive Bildung ist ein weiteres Thema, das vom UN-Fachausschuss in Genf mit äußerster Dringlichkeit angemahnt wurde. „Dazu gibt es von staatlicher Seite in Österreich nicht einmal eine grundsätzlich zustimmende Haltung. Die Menschen mit Behinderungen ‚seien doch sehr zufrieden‘ in ihren Parallelwelten abseits der Gesellschaft. Es wird kein Veränderungsbedarf gesehen. Das widerspricht der UN-BRK zutiefst, diese Haltung muss sich ändern“, kritisiert Tobias Buchner vom Unabhängigen Monitoringausschuss zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen.
So brauchen Kinder mit Behinderung beispielsweise nach Ende der Schulpflicht eine Genehmigung der Bildungsdirektion, um noch ein freiwilliges Schuljahr anhängen zu dürfen. Eltern, die für ihr Kind keinen solchen Schulplatz mehr zugeteilt bekommen, wenden sich mit ihrem Problem oft an die Volksanwaltschaft. „Wenn sich Österreich als behindertenfreundliches Land zeigen möchte, wäre hier die Gelegenheit, den Betroffenen den Besuch des freiwilligen 10. Schuljahrs zu ermöglichen“, sagt Volksanwalt Walter Rosenkranz und regt eine Gesetzesänderung an, um solche Probleme künftig zu verhindern.
Frauen besonders diskriminiert
Bislang vielfach übersehen wird die Situation von Frauen und Mädchen mit Behinderungen. Aufgrund der Mehrfach- und intersektionalen Diskriminierung, der sie vielfach ausgesetzt sind, sind spezifische und wirksame Maßnahmen für diese Zielgruppe unerlässlich.
„Diese müssen bedarfsgerecht, öffentlich finanziert und partizipativ sein,“ fordert Christine Steger von der Behindertenanwaltschaft in einer Aussendung. Denn, wie sie weiter ausführt: „Frauen mit Behinderungen sind deutlich häufiger als Frauen in der Gesamtbevölkerung von sexualisierter Gewalt betroffen. Häufig ist die Beziehung, in denen diese auftritt, von großen Machtgefällen und Abhängigkeitsverhältnissen geprägt. Entschließen sich Frauen und Mädchen mit Behinderungen, für sich selbst einzutreten, stoßen sie häufig auf beträchtliche Widerstände und Hindernisse. Gewaltschutz wird dadurch zusätzlich erschwert, wenn nicht gar verunmöglicht.“
Ein wichtiges Zeichen ist daher die Verleihung des mit 5.000,- Euro dotierten Förderpreises der Österreichischen Lotterien an das Projekt „Vereinsaufbau: FmB - Interessenvertretung Frauen* mit Behinderungen" im Rahmen der Lebenshilfe-Gala. Ziel des Projekts ist es, bundesweit ein Netzwerk zu schaffen, an das sich Frauen mit Behinderungen wenden können und an dem sie sich sicher fühlen. Frauen mit Behinderungen sehen sich nämlich vielfach mit einer Mehrfachdiskriminierung konfrontiert, für die in der Gesellschaft Bewusstsein geschaffen werden muss – ebenso wie geeignete Rahmenbedingungen.
Ausgezeichnete Inklusionsarbeit
Zusätzlich zum Förderpreis wurden im Rahmen einer festlichen Gala kürzlich weitere neun herausragende Projekte mit dem Österreichischen Inklusionspreis prämiert, der von der Lebenshilfe initiiert und heuer bereits zum sechsten Mal verliehen wurde. „Sie sind Vorbilder und Inspiration für ein besseres und inklusiveres Miteinander in Österreich.“ so der Generalsekretär der Lebenshilfe Österreich, Philippe Narval.
Mit 90 Einreichungen haben sich so viel Projekte wie noch nie um die insgesamt zehn Preise beworben. Das Gewinner-Projekt aus Kärnten stammt von der autArK Soziale Dienstleistungs-GmbH. Dieses Projekt lässt alle Menschen mit und ohne Behinderungen am politischen Leben teilhaben. Seit 2018 stellt autArk zu jeder Wahl barrierefreie und leicht verständliche Informationen in Form von Wahlbroschüren in einfacher Sprache zur Verfügung.
Das Projekt „SAID – Schul-Assistenz-Inklusiv und Digital“ wurde für das Bundesland Steiermark prämiert. Darin werden Menschen mit Behinderungen oder Lernschwierigkeiten zu digitalen Expert:innen augebildet. Diese DigiCoaches wiederum unterstützen Volksschüler:innen und Lehrende dabei, spielerisch die im Lehrplan festgelegten digitalen Fähigkeiten zu erlernen. Das dadurch veränderte Rollenbild erzeugt mehr Verständnis und baut Vorurteile ab.
Alle Preisträger:innen des diesjährigen Österreichischen Inklusionspreises sowie der vergangenen Jahre sind auf der Inklusionslandkarte der Lebenshilfe Österreich zu finden: www.inklusionslandkarte.at

Lebenshilfe Kärnten
Als Beispiel dafür, wie Inklusionsarbeit gelebt werden kann, gilt die Selbstvertretung der Lebenshilfe Kärnten. Es handelt sich dabei um eine Gruppe engagierter Menschen mit Behinderungen, die sich in Kärnten und darüber hinaus für Inklusion und die Rechte von Menschen mit Behinderungen einsetzt. Schon viele Jahre leisten Jasmin Schwab und Roland Kainz aus Wolfsberg, Maximilian Schallehn aus Klagenfurt und Oskar Obkircher aus Villach als Selbstvertreter:innen der Lebenshilfe Kärnten vor allem Aufklärungsarbeit und wollen auf die Situation von 89.000 Menschen in Österreich aufmerksam machen. Dabei ist es ihnen ein besonderes Anliegen, Berührungsängste abzubauen.
Dazu wurde eigens der Podcast „Vision Inklusion“ ins Leben gerufen. Für diesen ist gerade eine Ausgabe zum Projekt 27 in Planung, einer Kooperation des Land Kärntens mit dem Europäischen Sozialfonds und der Lebenshilfe Kärnten. Bei diesem Projekt will man für einige Teilnehmer:innen eine der Forderungen erfüllen. Sie erhalten für ihre Arbeit in Lebenshilfe-Werkstätten ein sozialversicherungspflichtiges Gehalt statt Taschengeld. Der gesamte Prozess wird dabei wissenschaftlich begleitet und evaluiert. Das Projekt hat zum Ziel, das Teilnehmer:innen nachhaltig am 1. Arbeitsmarkt vermittelt werden.
„Wir setzen uns als Selbstvertretung ein, damit es in Zukunft Menschen mit Behinderungen besser mit Behörden und rechtlichen Dingen haben“, erklärt Oskar Obkircher seine Beweggründe als Selbstvertreter. Für Roland Kainz liegt seine Motivation in der sozialen Gleichstellung aller Menschen und für Maximilian Schallehn ist es besonders wichtig, dass auch Menschen mit erhöhtem Unterstützungsbedarf sichtbar und gehört werden.