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Leben
09.08.2023

„Vergebung ist die Medizinkraft unserer Zeit“

Sonia Emilia Rainbow beschreitet seit mehr als 40 Jahren den traditionell schamanischen Medizinweg und teilt wertvolle Gedanken für unsere Zeit.

YAvida: Wir leben in einer sehr schnelllebigen, lauten Zeit. Was hilft uns zu entschleunigen?

Sonia Emilia Rainbow: Ich wage es zu behaupten, dass wir zu 90 Prozent mit unseren Gedanken entweder in der Vergangenheit sind, über Probleme nachdenken oder mit der Zukunft beschäftigt sind, aber nie wirklich hier in der Gegenwärtigkeit. Das bedeutet natürlich Stress für Körper, Seele und Geist; auch aufgrund dieser riesigen Informationsflut, in der wir uns bewegen. Die Stille ist daher sehr wichtig für uns, weil sie uns hilft in die Gegenwärtigkeit hinein zu kommen. 

Welche Rolle spielt dabei die Natur?

Wie auch wir Menschen hat die Natur ihre Kräfte und Energien. Die Pflanzen und die Tiere sind nach indigener Tradition unsere älteren Geschwister, denn sie waren vor uns hier. Es ist daher gut, die bewusste Verbindung mit der Natur und den vier Elementen zu suchen. Wenn wir barfuß durch die Natur gehen, werden unentwegt negative Emotionen, Gedanken und Energien in die Erde abgeleitet und wir nehmen gleichzeitig positive Kraft aus der Erde auf. Zudem befinden sich an den Fußsohlen wichtige Energiepunkte. An einem offenen Feuer zu sitzen – z. B. an einem Lagerfeuer oder an einer Feuerschale – wirkt ebenfalls reinigend und heilsam. In offene, freie Gewässer hineinzugehen wie in das Meer, in Seen oder Bäche stellt die Verbindung mit dem Element Wasser her. Mit dem Wind zu tanzen, ihn zu spüren, wie er den Körper streichelt, verbindet uns mit dem Element Luft. 

„Der Ausgleich zwischen Mann und Frau kann in unserer Gesellschaft gelingen, wenn beide lernen dem anderen Respekt und Wertschätzung entgegenzubringen.“

Sonia Emilia Rainbow

Was braucht es für eine nachhaltige Zukunft auf unserem Planeten?

Jeder und jede einzelne kann in dieser Zeit dazu beitragen, dass die Welt eine bessere wird, indem man bei sich selbst beginnt zu hinterfragen: Was von den Werten und Vorstellungen, die durch Erziehung, Konditionierungen aus der Gesellschaft und über unsere Vorfahren an uns weitergegeben wurden, ist gut in die Zukunft getragen zu werden für die nachfolgenden Generationen? Und was davon sollte in einem gewissen Sinne erlöst werden bzw. wo sollten neue Wege gefunden werden? Das beinhaltet die Überprüfung der eigenen Emotionen und negativen Gedankenspiralen, die Art und Weise, wie wir handeln und der Umwelt und den Mitmenschen begegnen, die Moral und Ethik, die wir selbst in uns tragen, unsere Wahrhaftigkeit und Aufrichtigkeit. 

Wie kann diese Transformation gelingen?

Europa ist nachweislich jener Kontinent, der am meisten Kriege erlebt hat. Daraus ist eine toxische Gesellschaft entwachsen, wo viel Neid, Missgunst, Konkurrenz, Eifersucht und in erster Linie ein „an sich selbst denken“ im Vordergrund steht, wo die Empathie vielfach verloren gegangen ist. Eine große Kraft liegt dabei in der Vergebung: Für Unrecht, Leid, enttäuschte Erwartungen und Vorstellungen, die wir selbst erlebt haben, die unsere Familie oder Vorfahren erlebt haben. Auch die Vergebung sich selbst gegenüber. Das erachte ich als eine der wichtigsten Formen in dieser Transformation, weil aus dem heraus entsteht auch die Reflexion des eigenen Lebens und was jeder seinen Möglichkeiten gemäß verändern kann Schritt für Schritt. Es gilt Pläne und Ideen zu entwickeln, damit Menschen und die Natur nicht weiterhin in dem Maße ausgebeutet werden. Es ist genug auf diesem wunderbaren blauen Planeten Erde vorhanden, sodass alle Menschen dieser Welt satt werden, ein sicheres Dach über dem Kopf haben, sogar in einem Komfort leben könnten, wenn die Menschen, die in Luxusgesellschaften wie wir leben, bereit wären mit ihren Geschwistern zu teilen. 

Was können wir in Europa von den indigenen Völkern lernen?

Es gibt mehr als die Wirklichkeit, die wir kennen. Wir lernen eine Beschreibung der Welt. Dadurch haben wir eine begrenzte Sicht der Dinge. Was ich bei den indigenen Völkern gelernt habe ist, dass es so viel mehr gibt, als wie uns gesagt wurde, dass es gibt. Es ist nicht so, dass wir einfach nur leben, dann sterben und dann alles einfach vorbei ist. Ich bin sehr davon überzeugt, dass es gut ist, wenn jeder auf seine Art und Weise beginnt sich auch für die Möglichkeit von spirituellen Welten und spirituellen Feldern zu öffnen, weil das eine Wirklichkeit ist, die viel realer ist, als die Wirklichkeit, die wir uns hier aufgebaut haben. Dass es „wirklicher“ ist, sehen wir ja auch daran, dass unsere Wirklichkeit beginnt zu zerbröseln und sich aufzulösen.

Zur Person

Sonia Emilia Rainbow 

ist Schamanin, ganzheitliche Naturheiltherapeutin & Gründerin von www.schamanismus.net.
Seit mehr als 40 Jahren widmet die Vorarlbergerin ihr Leben dem traditionellen Medizinpfad. Schamanen aus unterschiedlichsten indigenen Traditionen – wie Juan Perez vom Stamme der Guajira aus Kolumbien, Questembetsa Shipibo-Conibo aus dem Amazonas Tiefland, Don Eduardo Calderon aus Peru, die Lakota-
Medizinfrauen TwoStarWoman, BeaverWoman und SingingBird sowie CrowWolf – haben ihren Weg begleitet.

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