Gemeinsame Visionen entwickeln lautet die Devise von Klimapionierin Jill Jäger. / © A. Pöschl
Umwelt
24.06.2023

„Wir brauchen Visionen, um eine lebenswerte Zukunft zu gestalten“

Jill Jäger ist jene Frau, die 1985 in Villach Klimageschichte mitgeschrieben hat. Kooperieren statt konkurrieren lautet das Gebot der Stunde.

Im Zukunftsgespräch mit advantage wirft Klimaforscherin Jill Jäger einen kritischen, aber zuversichtlichen Blick nach vorne. Die gebürtige Engländerin ruft zur Zusammenarbeit auf, um die Klima­ziele zu erreichen.

advantage: Wie war ihr persönlicher Werdegang, warum wurden Sie Klimaforscherin?

Jill Jäger: Mein Lieblingsfach in der Schule war Geographie. Ich habe dann in den 1960-er Jahren in England studiert und in den USA das Doktorat in Klima­tologie und Meteorologie gemacht. Bald ging es zurück nach Europa, 1976 bin ich schließlich nach Österreich zu IIASA in Laxenburg geholt worden. Ich war 26 Jahre alt, als ich dort anfing, mich mit dem Thema CO2 und künftigen Klima­veränderungen zu beschäftigen. In der Zeit lief die Vorbereitung für die erste Welt­klimakonferenz in Genf. Ich durfte dort 1979 als einzige Frau vortragen. 1984 bin ich dann gefragt worden, ob ich helfen würde die wissenschaftliche Aufbereitung für die Konferenz in Villach zu übernehmen.

„Wir haben die Klimaziele von Paris definiert, aber wir müssen systematisch prüfen, wie diese Ziele und die gewünschte Zukunftsvision für 2050 zusammenpassen. Die Medien nehmen eine wichtige Funktion ein, um diese Vision in den gesellschaftlichen Dialog einzubringen.“

Jill Jäger, Klimaforscherin

„Erstmals in der Geschichte ist der Mensch dabei, das Weltklima zu ändern!“ Die Villacher Klimakonferenz 1985 gilt als Meilenstein in der Klimadebatte. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Konferenz?

Bis zu jenem Zeitpunkt sprach man hauptsächlich vom CO2-Problem und sagte eine wesentliche Erderwärmung erst für das Ende des 21. Jahrhunderts voraus. Neu bei der Konferenz in Villach war, dass Treibhausgase wie z.B. Methan, Ozon oder Fluorchlorkohlenwasserstoffe in die Rechnungen einbezogen wurden mit dem Ergebnis, dass Klimaveränderungen sich deutlich früher manifestieren würden. Die Klimakonferenz in Villach war auch deshalb so erfolgreich, weil die Teilnehmer damals nicht als Delegationen ihrer Regierungen, sondern als Einzelpersonen, als Wissenschaftler auftraten. Sie konnten ohne politische Einschränkungen frei von ihrer Forschung berichten und die mög­lichen Konsequenzen für die Umwelt beschreiben. Das gab es in dieser Form späterhin nicht mehr. Die nächste Welt­klimakonferenz 1990 in Genf war dann schon eher politisch geprägt.

Wie kann die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Politik besser werden?

Ich habe mich vor 20 Jahren schon gefragt, ob es wirklich sinnvoll ist für die Politik alle fünf Jahre diese dicken Berichte zu schreiben und zu hoffen, dass Empfehlungen umgesetzt werden. Heute denke ich, dass schon bei der Erfassung und Bewertung des Zustandes der Umwelt, erst recht aber bei der Formulierung von Maß­nahmenempfehlungen, die Wissenschaft mit allen relevanten gesellschaftlichen Gruppen zusammenarbeiten muss. Durch Kooperation mit gegenseitigem Verständnis kann die Transformation in Richtung Nachhaltigkeit gelingen.

Welche Rolle kommt in diesem Prozess den Medien zu?

Medien müssen Informationen über Lösungen weitergeben, in einer Form, die für alle Akteure verständlich ist. Medien können den Akteuren helfen, in der Flut von Informationen die wesentlichen und wissenschaftlich begründeten zu finden. Wir alle müssen auch lernen offen zu ­analysieren, was funktioniert hat und
was nicht.

Wie kann eine nachhaltige Zukunft aussehen?

Wenn wir wirklich Wege in eine lebenswerte, nachhaltige Zukunft finden wollen, müssen wir eine gemeinsame Vorstellung oder Vision entwickeln, wie diese Zukunft aussehen soll. Wir haben die Klimaziele von Paris definiert, aber wir müssen ­systematisch prüfen, wie diese Ziele und die gewünschte Zukunftsvision für 2050 zusammenpassen. Die Medien nehmen eine wichtige Funktion ein, um diese Vision in den gesellschaftlichen Dialog einzubringen Es gibt viele Unsicherheiten, die wir nicht ausräumen werden, egal wieviel wissenschaftliche Arbeit wir leisten. Lösungen werden wir nur erreichen, wenn wir im Dialog mit allen Akteuren bleiben. Es braucht Menschen, die in der Lage sind, diesen Dialog zu moderieren. Menschen, die offen sind und wissen, wie man mit unterschiedlichen gesellschaftlichen ­Gruppen reden kann. Zwischenmensch­liche, soziale Kompetenzen sind wichtiger denn je.

Was ist ihre persönliche Vision?

Meine Vision ist, dass wir kooperieren und nicht konkurrieren. Wenn wir mehr kooperieren würden, würden wir Wege zur Nachhaltigkeit finden. Ein wichtiger Teil der Vision ist, deutlich weniger Ressourcen zu verbrauchen. Eine Wirtschaft, wie wir sie bis jetzt kennen – die massiv auf wirtschaftliches Wachstum gemessen am BIP aufbaut - kann nicht mit einer nachhaltigen Welt zusammengebracht werden. Es ist eine gesellschaftliche Transformation von Nöten mit einem Fokus auf Lebensqualität und Wohlbefinden.

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