„Wir Erwachsenen müssen unseren Kindern wieder Lebensfreude zusprechen“
Psychische Gesundheit ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass Kinder und Jugendliche gesund aufwachsen können. Sie ist eng verknüpft mit Lebenszufriedenheit, Leistungsfähigkeit und der erfolgreichen Bewältigung von Entwicklungsaufgaben und Herausforderungen des Alltags. Dauerhafte Belastungen, wie zum Beispiel Misserfolge, Konflikte oder Beziehungsprobleme, können das psychosoziale Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen beeinträchtigen und das Risiko für psychische Erkrankungen erhöhen. Die andauernde Corona-Pandemie und der Krieg in der Ukraine sorgen zusätzlich für eine psychische Belastung von Kindern und Jugendlichen. Dr. Christoph Schneidergruber, fachlicher Leiter vom SOS-Kinderdorf Ambulatorium, HGZ Kärnten hat mit uns über das Tabuthema psychische Erkrankungen gesprochen und auch ein paar Tipps verraten, wie Eltern ihren Kindern in dieser schwierigen Zeit Halt geben können.
Begleitung bei psychischen Erkrankungen
Das SOS Kinderdorf bietet derzeit drei Ambulatorien (eines in Wien und zwei in Kärnten) für Neurologie und Psychatrie des Kindes- und Jugendalters mit jeweils einem Team bestehend aus Fachärzten, Psychotherapeuten, Psychologen, Ergotherapeuten und Logopäden an. „Wir begleiten Jugendliche mit ihren Familien, mit psychatrischen bzw. psychischen Erkrankungen wie Angststörungen, Depressionen, Essstörungen, Verhaltensstörungen, Störungen der Emotionen, ADHS, aber auch Kinder mit verschiedenen Entwicklungsstörungen“, erklärt Christoph Schneidergruber, fachlicher Leiter vom SOS-Kinderdorf Ambulatorium, HGZ Kärnten.
Es herrscht eine Zukunftsleere
Psychische Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen haben in den letzten Jahren zugenommen. Bereits seit Längerem ist zu beobachten, dass besonders Angststörungen, Depressionen und Existenzängste stark zunehmen. „Wir sehen derzeit eine massive Zunahme. Bedingt einerseits durch die Corona-Pandemie und den damit verbundenen veränderten Lebenswelten, aber derzeit auch verstärkt durch den Krieg in der Ukraine und dem ganzen Wirkungspaket, welches daran hängt. Es herrscht eine gewisse Zukunftsleere, ein Vakuum.“
Der Krisenmodus hält weiter an
Aber nicht nur die Zahl der Anrufe bei der Kummerhotline „Rat auf Draht“ zeigen täglich die Angst unserer Kinder und Jugendlichen, auch die Gesellschaft und die Familienwelt sind in den letzten Jahren stark ins Wanken gekommen. „Derzeit ist kein Ende in Sicht, die Bugwelle wird gefühlt immer größer und der Krisenmodus hält an. Jeder Tag bringt etwas Neues, es gibt ständig Änderungen. Viele junge Menschen sehen auch keinen Grund, oder haben keine Motivation da wieder herauszukommen, weil sie durch die lange Corona-Zeit den Anschluss und ihre Ziele verloren haben. Sei es in Sachen Ausbildung, Schule, Vereine, Sport oder Freunde“, so Schneidergruber. Die Lebenswelten vieler Kinder und Jugendlichen haben sich in digitale Orte und virtuelle Begegnungen verlagert. „Und viele junge Menschen haben keine wirklichen Perspektiven, ihnen fehlt die Orientierung.“
„Kinder sind wie ein Spiegel“
Doch was können Eltern tun, um die psychische Gesundheit ihrer Kinder zu stärken bzw. zu fördern? „Kinder sind wie ein Spiegel. Geht es den Eltern gut, stärkt das auch die Kinder. Wichtig ist, dass wir Eltern auf uns selbst schauen, Stress abbauen und uns Zeit für uns und unsere Kinder nehmen“, rät Christoph Schneidergruber. Um psychische Probleme bei Kindern zeitnah zu erkennen, rät Schneidergruber zur Achtsamkeit: „Häufige Symptome zum Beispiel bei Depressionen sind Resignation, Traurigkeit, Niedergeschlagenheit bzw. auch anhaltend wenig Motivation. Viele, besonders auch kleinere Kinder zeigen körperliche Beschwerden, Schlaf- oder Essstörungen. Immer dann, wenn ihr Kind anhaltende psychische Veränderungen zeigt, sollte Hilfe in Anspruch genommen werden.“
Fehlende Strukturen und existenzielle Sorgen
Auch die Corona-Pandemie und ihre Folgen haben sich negativ auf die psychische Gesundheit der Kinder ausgewirkt. Die Lockdowns mit dem Wegfall von gewohnten sozialen Kontakten und die zunehmende soziale Isolation belasten nach wie vor viele. „Hinzu kommen Ängste, insbesondere durch jetzt auch zunehmenden schulischen Druck und wirtschaftlichen Druck, aber auch durch das Kriegsgeschehen in der Ukraine. Soziale Kontakte müssen wieder geknüpft werden, was vielen schwerfällt.“ Familien wurden durch die Corona-Pandemie schwer belastet, fehlende Strukturen und existenzielle Sorgen sind weiters eine Belastung.
Medienkonsum gezielt auswählen
Auch der Krieg in der Ukraine beschäftigt viele Menschen hier in Österreich. Aber was kann man als Erwachsener tun, um Kindern und Jugendlichen in dieser schwierigen Zeit beizustehen und ihnen eventuell auch die Angst zu nehmen? „Man sollte die Angst der Kinder erst nehmen, aber auch die eigenen Ängste beachten und bearbeiten bzw. Ihnen begegnen. Was nicht hilft ist verdrängen und zum Beispiel den Kindern zu sagen, dass sie keine Angst haben müssen“, führt Schneidergruber aus. Wichtig ist es, darüber zu reden, zu versuchen die empfundene Angst zu konkretisieren und Handlungsableitungen zu finden. „Wenn als das Gefürchtete eintreten sollte, haben wir entsprechende Bewältigungsstrategien. Das gibt Sicherheit. Wichtig ist es aber auch, sich selbst nicht zu überfordern. Der Medienkonsum sollte gezielt ausgewählt werden, damit man sich nicht ständig mit den allerneuesten Nachrichten beschäftigt.“
Lebensmut und Lebensfreude zusprechen
Der Medienkonsum, vor allem der Social Media Kanäle, befeuert die Ängste der jungen Menschen zusätzlich. „Kinder hören von Jodtabletten, die gebunkert werden, von der Angst, ein Atomkraftwerk könnte in die Luft gehen. Sie hören von Kriegstoten, Covidtoten und Überschwemmungstoten. Dabei steht das Leben gerade vor der Tür: Der Frühling beginnt - bunt und voller Neuanfang. Wir Erwachsenen, jeder Einzelne von uns, müssen unseren Kindern und Jugendlichen wieder Lebensmut und Lebensfreude zusprechen, diese ermöglichen, herstellen und sichtbar machen.“ Die guten Dinge, die schönen Seiten des Lebens und die Lichtblicke müssen von den Erwachsenen erkannt und geteilt werden. „Manchmal sind das nur Kleinigkeiten oder kurze Momente. Aber es gibt sie. Und in Summe kann auch daraus wieder etwas großes Ganzes, etwas Gutes entstehen“, erklärt Christoph Schneidergruber.
Vorurteile und Diskriminierung
Nach wie vor sind aber psychische Erkrankungen auch heutzutage in unserer Gesellschaft ein Tabuthema. Um dem entgegenzuwirken, sieht Schneidergruber es als sehr wichtig an, die Menschen aufzuklären und über psychische Probleme zu sprechen. „Während man über Burnout schon leichter spricht, sind andere Erkrankungen noch sehr tabu und die Betroffenen alleine gelassen. Die Folge sind Sekundärerkrankungen, nämlich die Stigmatisierung. Gründe dafür sind Vorurteile, mangelnde oder falsche Informationen und Diskriminierung“, so der fachlicher Leiter vom SOS-Kinderdorf Ambulatorium. Schneidergruber hat diesbezüglich aber Hoffnung für die Zukunft: „Aufklären und darüber sprechen ist wichtig. Die junge Generation kann dies aber schon deutlich besser als die älteren Menschen.“