Fotocredit: Ulrich Eberl
Wirtschaft
24.03.2023

„Wir kennen unsere Überlebens­formel bereits“

Kooperation statt Konfrontation als Antwort auf Klimawandel, Artensterben und Pandemien.

Ulrich Eberl, Physiker

„Der nötige Wandel ist wirtschaftlich, ökologisch und sozial sinnvoll. Dabei geht es gar nicht vorrangig um Verzicht, sondern um mehr Lebensqualität.“

Im Interview mit advantage spricht Ulrich Eberl über sein aktuelles Buch „Die Überlebensformel“ und möchte Mut machen: Es gibt bereits Lösungsansätze für Industrie und Wirtschaft.

advantage: Was ist aus Ihrer Sicht die „Überlebensformel“, um die Herausforderungen der Jetzt-Zeit zu bewältigen?

Ulrich Eberl: Als Physiker habe ich gelernt, ganzheitlich zu denken. Bei den Umweltkrisen hängt alles mit allem zusammen. Beispiel Energiewende: Hier sind erneuerbare Energien der wichtigste Hebel. Würden weltweit alle fossilen Kraftwerke durch Wind- und Solarstrom ersetzt sowie Benzin- und Dieselmotoren durch Elektroantriebe, dann würden die Klimagase aus Kohle, Öl und Erdgas um zwei Drittel sinken. Dafür muss ein komplexes Puzzle gelöst werden: Wir brauchen intelligente Stromnetze, effektive Speicher und Kraftwerke für die Dunkelflauten. Insgesamt steigt der Stromverbrauch, schon weil künftig viele E-Fahrzeuge unterwegs sind und Wärmepumpen die Häuser heizen. Und weil die Stahl- und Chemieindustrie auf grünen Wasserstoff setzt, der mit überschüssigem Wind- und Solarstrom erzeugt wird.  

Für die Industrie ist aber entscheidend: Sind die klimafreundlichen Lösungen auch wirtschaftlich nachhaltig?

Anders als vor zehn Jahren ist das heute oft der Fall. Wind- und Solarstrom sind jetzt überall auf der Welt billiger als ­Kohlestrom. 70 Prozent des globalen Zubaus der Stromerzeugung entfallen auf Erneuerbare. China und Indien besitzen schon mehr erneuerbare Kraftwerksleistung als Europa und die USA zusammen. Die Elektro­mobilität boomt, weil die Preise für Lithium-­Ionen-Akkus seit 2010 um 90 Prozent gesunken sind. Auch ­grüner ­Wasserstoff wird bald günstiger sein als der aus Erdgas.  

Ein Drittel der CO2-Emissionen stammt aus dem Gebäudesektor. Wie kann hier Klimaneutralität erreicht werden?

Die bei uns durch Gebäude verursachten Klimagase gehen auf Heizung und Warmwasser zurück sowie auf Hausgeräte, Beleuchtung und Computer. Wenn künftig mehr Wärmepumpen für die Heizung sorgen, der Verbrauch intelligent gesteuert wird und all der Strom aus klimaneutralen Quellen stammt, ist ein Großteil des Problems gelöst. 

Es bleibt die Zementindustrie. Wäre sie ein Staat, läge sie beim CO2-Ausstoß an vierter Stelle, hinter China, den USA und Indien. In Pilotprojekten wird das CO2 mit grünem Wasserstoff in synthetische Kraftstoffe für Lkws, Schiffe und Flugzeuge umgewandelt und so sinnvoll genutzt. Noch wichtiger ist das Bauen mit Holz: Würde global ein Viertel des Betons durch Holz oder Bambus ersetzt, würde dies jedes Jahr zehnmal mehr Klimagase sparen, als Österreich emittiert. Dass das geht, belegen Holz-Hybrid-Hochhäuser: etwa das 84 Meter hohe HoHo in Wien.

Sind nachhaltiges Bauen und leistbar Wohnen nicht ein Widerspruch?

Bauen mit Holz bringt noch weitere Vorteile. So werden dank 3D-Computerplanung die Holzmodule präzise vorgefertigt und vor Ort nur noch wie Legosteine zusammengefügt. Die Folge: Weniger Staub, weniger Lärm, weniger Abfall und ein weit schnelleres Bauen. Für bestehende Gebäude gibt es auch gute Lösungen: Mit dem „Energiesprong“-Konzept aus den Niederlanden können alte Häuser binnen acht Tagen auf Passivhaus-Standard gebracht werden. Und in Deutschland würde die Sanierung des ältesten Drittels der Gebäude deren Wärmebedarf um 80 Prozent verringern – was so viel an Heizkosten spart, dass sich die Sanierung allein dadurch rechnet. Auch Solaranlagen amortisieren sich heute binnen weniger Jahre.

Welche Rolle spielt die Politik in der Umsetzung der SDGs?

Die Politik muss die Rahmenbedingungen für eine „grüne“ Industrie setzen. Sie muss Innovationen und Investitionen fördern, die Preise für Klimagase und Müll stetig steigen lassen und soziale Härten ausgleichen. Das erfordert internationale Zusammenarbeit und eine Finanzindustrie, die ihre Gelder aus der fossilen Wirtschaft abzieht. Bürokratische Hemmnisse müssen abgebaut und der Fachkräftemangel behoben werden. Die Bildung ist wie so oft der Schlüssel. 

Was bedeutet für Sie persönlich nachhaltiges Handeln?

Wir haben zu Hause einen naturnahen Garten, Solarzellen auf dem Dach, Batterien im Keller und ein E-Auto in der Garage. Außerdem achten wir auf fair gehandelte Produkte und regionale Biolebensmittel. In meinen Büchern und Vorträgen will ich Mut machen: Der nötige Wandel ist wirtschaftlich, ökologisch und sozial sinnvoll – wir kennen „unsere Überlebensformel“ bereits, wir müssen sie nur endlich umsetzen. Dabei geht es gar nicht vorrangig um Verzicht, sondern um mehr Lebensqualität: In einer Stadt der kurzen Wege mit wenig Autoverkehr und großzügiger Begrünung lebt es sich stressfreier. Weniger Fleisch und weniger Fertigprodukte sind gesünder. Strom vom Solardach ist gut fürs Klima, für den Geldbeutel und für eine sichere und unabhängige Energieversorgung – und ein Wald oder ein Korallenriff mit reichem Tierleben hilft nicht nur der Artenvielfalt, sondern beschert auch wunderbare Urlaubserlebnisse. 

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