© kk
Wirtschaft
21.11.2024

„Wir müssen KI- Kompetenzen in den Unternehmen aufbauen“

Warum ein verantwortungs­voller Umgang mit künstlicher Intelligenz die Schlüssel­kompetenz der Zukunft ist, weiß KI-Experte Patrick Ratheiser.

advantage: Was sind die drei wichtigsten KI-Trends, die sich aus ihrer Sicht für die nahe Zukunft abzeichnen?

Patrick Ratheiser: Trends gibt es viele, gerade im KI-Bereich. Man muss hier unterscheiden zwischen generativer KI und klassischer KI oder Machine Learning. Global werden wir eine Art Transformation erleben, denn KI ist im Prinzip eine Technologie wie jede andere auch. Das haben wir schon öfter gesehen im Zyklus, d. h. wenn es neue Technologien gibt, verändert sich auch die Arbeitswelt. Und so ist KI auch einzuschätzen.

Ein großer Trend ist Automatisierung. Hier ist es glaube ich wichtig zu verstehen, dass KI gerade im generativen Bereich viele Dinge kann, die der Mensch auch kann. Es geht hier sehr stark um Mitarbeiter:innen im Verwaltungsbereich. Früher hat man mit Technologie vor allem jene Bereiche automatisiert, wo menschliche Manpower bzw. Muskelkraft zum Einsatz kommt. Heute ist es so, dass generative KI gerade im Verwaltungsbereich und in unterschiedlichsten Office-Bereichen, wo es um die Automatisierung von wiederkehrenden, geistigen Routinearbeiten geht, einen Nutzen stiftet.

Ein zweiter Trend ist glaube ich relativ klar. Was wir ganz stark brauchen ist, dass KI-Kompetenzen in den Unternehmen aufgebaut werden. Das ist das Thema „Erklärbare KI (Explainable AI)“ bzw. „AI Literacy“. Denn gerade auch im Unternehmenskontext müssen wir verstehen, wie KI funktioniert, weil wir sehr wohl auch verifizieren müssen, was tut die KI? Macht sie das richtig? Es ist ein „Mensch UND Maschine“ und nicht ODER und das ist das positive Zusammenwirken, das ganz wichtig ist.

Und der dritte Trend... Man sieht es jetzt schon bei Chat GPT und Co. Es wird immer individueller. Es geht dabei nicht nur um persönliche Assistenzsysteme, die im Unternehmenskontext die Mitarbeiter:innen unterstützen, um schneller, effizienter und produktiver zu werden, sondern wir werden es auch im privaten Bereich sehen.

„Es ist ein ,Mensch und Maschine‘ und nicht oder. Das ist das positive Zusammen­wirken, das ganz wichtig ist.“

Patrick Ratheiser

Wo liegen aus Ihrer Sicht die ethischen Risiken im Umgang mit (genera­tiver) KI wie ChatGPT und (wie) können Unter­nehmen diesen aktiv entgegen­treten?

Ein wichtiges Thema im Umgang mit ethischen Risiken sind sicherlich Halluzinationen. Generative KI wie ChatGPT und Co. antwortet nicht faktenbasiert, und das war auch nie die Idee oder das Ziel. ChatGPT-Modelle hatten ja die Aufgabe, die menschliche Sprache oder den Text zu imitieren. Und das machen sie fantastisch mittlerweile. D. h. das ist kaum noch unterscheidbar, wenn man es richtig macht, ob das jetzt die KI geschrieben hat oder der Mensch. Es war also nie die Aufgabe, faktenbasiert Antworten auf Fragen zu geben. Da muss man auf jeden Fall aufpassen und immer auch verifizieren und hinterfragen, ist das richtig, was dieses System mir als Antwort liefert? Wo ist die Quelle, denn es werden auch Quellen halluziniert.

Das andere Thema ist, wie kann man dem entgegenwirken. Mittlerweile gibt es sogenannte RAG-Systeme (Retrieval-Augmented Generation). Im Prinzip ist das nichts anderes, als dass man Dokumente oder Wissen aus den Unternehmen in solche Systeme mit einbringt. Man stellt eine Frage und aus dem Unternehmenswissen wird die Frage dann beantwortet – immer mit einer gesicherten Quelle. D. h., da gibt es irgendwo eine Niederschrift, eine Quelle und die KI darf nur aus diesem Bereich zitieren oder eine Antwort liefern. So werden die Halluzinationen einigermaßen unterdrückt. Wenn die KI etwas nicht weiß oder es nicht in den Daten vorhanden ist, dann darf sie auch nicht antworten. Es gibt also technische Möglichkeiten, es gut zu unterdrücken. Dennoch ist es bei generativer KI und gerade im Unternehmenskontext so, dass man mit Hausverstand rangehen muss und es auch immer kritisch hinterfragen muss. Dieses kritische Auseinandersetzen ist ein sehr wichtiges Thema.

Wie kann ein verant­wortungs­voller Umgang mit KI gelingen?

Das Thema AI Literacy – AI Kompetenzen ist zentral. Was wir sehen und was wir selber machen, wir versuchen so gut wie möglich den Menschen im Unternehmenskontext KI-Kompetenzen beizubringen. Wie gehe ich mit KI um? Was darf ich, was darf ich nicht im Unternehmenskontext? Was soll ich überhaupt reinschreiben? Personenbezogene Daten sind keine gute Idee. D. h. wir müssen die Menschen in diesem Kontext fit bekommen in den Unternehmen – ob das jetzt Schulungen sind, ob das jetzt die permanente Begleitung ist. Die Mitarbeiter:innen von heute müssen mit dem Thema in Austausch gehen und wenn sie den Hintergrund verstehen, wie es funktioniert und wie man es benutzt, dann kann man andere Entscheidungen treffen und vor allem das Ganze kritisch hinterfragen und richtig interagieren und die Systeme auch so nutzen, wie es gedacht ist. Wir müssen unsere Leute in den Unternehmen einfach soweit fit kriegen. Das ist der zentrale Punkt, das machen wir mit AI Literacy.

Die jungen Generationen, die nachrücken, die sind schon gut damit vertraut. Ob das meine Studierenden sind oder auch auf Schulen. Die wachsen damit auf. So wie es die Digital Natives gegeben hat, gibt es jetzt die AI Locals, die halt damit umgehen können. D. h. wir sind noch ein bissl im Zwiespalt, aber die nächsten Generationen, die wachsen damit auf. Deshalb ist es auch wichtig, dass sie wissen, was die KI tut. Vor allem muss man auch die Kirche im Dorf lassen. Das hört sich jetzt alles wie ein Wunderwerkzeug an, ist es aber nicht. Viele Dinge kann die KI nicht. Man darf sich von diesem Hype auch nicht blenden lassen. Viele Dinge (auch in der Wirtschaft) bzw. viele Anwendungsfälle gehen noch nicht so, wie sie in den Medien und im Marketing postuliert werden. Es sind noch einfache Use Cases. Natürlich können sie viel unterstützen. Aber wir sind am guten Weg.

„Ich möchte den Appell setzen, einfach zu starten in den Unter­nehmen und sich mit KI auseinander­zusetzen.“

Patrick Ratheiser
Gibt es aus Ihrer Sicht auch Branchen bzw. Geschäfts­bereiche, wo der Einsatz von (gene­rativer) KI wie ChatGPT nicht bzw. wenig sinnvoll ist?

Ich würde es jetzt nicht auf die Branche herunterbrechen, es geht da eher um die Anwendungsfälle. Wenn wir im generativen KI-Bereich reingehen: Alles, was Unternehmenswissen, Dokumente, Verwaltung, Kommunikation mit dem Endkunden betriffft – das sind Themen, die hat man überall! Egal ob im Baukonzern oder im Pharmabereich, das ist relativ egal. Überall dort, wo es um Verwaltung geht. Da kann generative KI immer helfen.

Wo es halt schwieriger wird, sind Bereiche, wo Menschen wirklich stark sind. Also der Dienst am Menschen, wie z. B. Physiotherapeuten oder in der Pflege. Es gibt viele Berufe, wo es die menschliche Empathie braucht. Das ist das, was KI nicht kann, dort ist es weniger einsetzbar.

Welche Bedeutung kommt dem Faktor Mensch bzw. unseren analogen Grund­fertigkeiten wie Schreiben, Lesen und Rechnen in Zukunft zu (Stichwort: Bildungs­system – Schulen – Einsatz von „Hausverstand“)?

Rechnen, Schreiben, Lesen – wir werden es nach wie vor können müssen. Es ist ganz wichtig, dass junge Menschen lernen, Dinge kritisch zu hinterfragen. In Interaktion mit KI zu gehen ist ein zentraler Punkt. Ein Beispiel. Ich kann mir ja mit KI wunderbar Dinge übersetzen lassen. Das Problem ist nur, wenn ich nicht mehr Englisch oder die jeweilige Fremdsprache lernen will, wie will ich es dann überprüfen? Wenn ich kein Mathe  kann, wie will ich überprüfen, ob es der Wahrheit entspricht? D. h. ich muss sehr wohl in der Lage sein, solche Dinge zu challengen. Wir brauchen andere Kompetenzen in den Schulen. Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass wir Richtung Empathie, Teamwork und Kreativität gehen. Das müssen wir nach wie vor in den Schulen lernen. Da wird uns die KI in dem Fall nicht übersetzen, da sind wir stark.

Was ist Ihnen abschließend noch wichtig?

Ich möchte den Appell setzen, einfach zu starten in den Unternehmen und sich mit KI auseinanderzusetzen. Erst 63 % der Unternehmen weltweit experimentieren ein bisschen. KI ist noch lange nicht angekommen. Und gerade in Europa fehlt uns manchmal der Mut. Es ist mein Appell, wirklich damit zu starten, klein zu starten, sich auseinandersetzen, die Dinge auszuprobieren und zu tun. Sie sind großartig und sie können helfen. Sie können natürlich nicht alles tun. Es gilt die Erwartungshaltung schon auch zu dämpfen und das Ganze auch spielerisch zu sehen. Gerade im Unternehmertum ist es so, dass die Konkurrenz nicht schläft. Was uns nicht passieren darf in Europa ist, dass wir den Anschluss verlieren! Das ist im Socia-Media-Bereich passiert. Da gibt es die großen Social-Media.Companies, da sind wir meilenweit hinten. Wenn uns das im KI-Bereich auch noch passiert, das wäre nicht gut.

Stichwort Wettbewerbsfähigkeit: Ich habe teilweise, wenn ich KI einsetze, bis zu 38 % Produktivitätssteigerung im Verwaltungsbereich oder im klassischen Kommunikationsbereich. Ich bin schneller, finde die Dinge schneller. Ich glaube, die entscheidende Frage wird sein: Wer kann in der Arbeitsstelle mit KI umgehen und wer kann es nicht? Und eigentlich ist das nur eine Wiederholung der Vergangenheit: Wer kann mit einem PC umgehen und wer kann es nicht?

WISSENSWERT

Patrick Ratheiser verbindet Technik und Business: Der 1983 geborene Kärntner ist studierter Betriebswirt und Informatiker.

Nach Stationen als Software-Entwickler und Projekt­manager war er insgesamt fünf­ein­halb Jahre als IT-Projektmanager bzw. Agile Coach für einen international agierenden Software- bzw. Telekommunikationsanbieter insbesondere im Bereich Software-Enterprise-Lösungen tätig.

Seit Oktober 2018 ist Patrick Ratheiser CEO (und Co-Founder) des Unternehmens Leftshift One und Keynote-Speaker im Bereich Artificial Intelligence.

Schlagwörter