Leben
11.01.2025

„Wir müssen lernen, uns wieder zu verkörpern“

Wer bist du, wenn du nicht gerade funktio­nierst? Natur und Farbe helfen dabei, unsere Resilienz und Selbst­führung zu stärken.

Elternteil, Ehepartner:in, pflegende Angehörige, Führungskraft: Den ganzen Tag über werden wir bestimmten Rollenbildern gerecht. Sind es gewohnt, zu funktionieren, wie es von uns erwartet wird. Dabei stellt sich die Frage: Spüren wir überhaupt noch, wer wir wirklich sind? Spüren wir UNS überhaupt noch? In einer Welt, in der Stress ein Statussymbol ist und ein angespanntes Nervensystem zum Alltag gehört, lautet die Antwort sehr oft: Nein. Nicht selten ignorieren wir die Signale unseres Körpers und unserer Seele – überarbeiten uns, schlafen zu wenig, betäuben uns mit Suchtmitteln, exzessivem Essen oder scrollen stundenlang durchs Netz. Wir sind Meister:innen darin, die Hilfeschreie unseres Körpers zu ignorieren – oft so lange, bis uns Krisen oder Krankheiten zum Umdenken zwingen.

Sich selbst stärken lernen

Auch Kathrin Sowa-Mörtl kennt den Kreislauf aus ständigem Unter-Strom-Stehen, Dauerangst und damit einhergehenden körperlichen Beschwerden nur zu gut – unter anderem aus ihrer Zeit als pflegende Angehörige. „Ich habe lange nicht verstanden, dass ich lernen muss, wie ich meine eigene Stabilität stärken kann. Erst die Frage ‚Wer ist der wichtigste Mensch in meinem Leben?‘ war mein Gamechanger“, so die systemische Lebensberaterin, Trainerin und Coachin aus Klagenfurt, die mit ihrem Unternehmen „HERZBUNT“ Menschen dabei hilft, zu sich selbst zu finden und sich zu stärken. „Gerade Frauen tun sich dabei oft schwer, weil das vielfach noch als Egoismus abgestempelt wird.“ Auf sich selbst zu achten, ist jedoch die Voraussetzung für ein erfülltes Privat- und Berufsleben. Dabei gilt es in erster Linie, in Kontakt mit sich selbst zu kommen, um Bedürfnisse und Blockaden wahrzunehmen.

„Wir müssen wieder lernen, vom Gedankenkarussell im Kopf zurück zu unserem Körperbewusstsein zu finden“, betont Sowa-Mörtl. Um dieses Ziel zu erreichen, gibt es mittlerweile zahlreiche Ansätze. Einer der simpelsten Wege, mit sich selbst in Beziehung zu treten, ist Zeit in der Natur zu verbringen. Zum Beispiel beim Waldbaden. „Die Natur gibt uns Halt, sie erinnert uns an die Essenz unseres Seins. Im Wald kommen die Sinne ins Spiel – Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Fühlen. Man fragt sich: Wo bin ich gerade, was nehme ich alles wahr? Dadurch lernen wir, wieder in unseren Körper zu gehen, werden vollkommen präsent“, erklärt die Waldbadentrainerin, die dazu auch regelmäßige Workshops anbietet.

„Wenn wir kreativ sind, werden wir Schöpfer:in unserer Wirk­lichkeit.“

Kathrin Sowa-Mörtl, Dipl. Lebens­beraterin, Trainerin und Coachin

© kk

Unausge­sprochenes zum Ausdruck bringen

Eine weitere, noch eher unbekannte Möglichkeit, um die Verbindung mit sich selbst zu stärken, ist heilsame Körpermalerei – Body Art. „Heilsame Körpermalerei kann gerade dann helfen, wenn Menschen für Dinge keine Worte haben. Sie bringt unausgesprochene Gefühle und Themen zum Ausdruck“, erklärt Sowa-Mörtl. Durch das Bemalen des eigenen Körpers soll man seinen inneren Anteilen näherkommen, sie nach außen kehren und sichtbar machen. Das können Anteile sein, die z. B. für eine aktuelle Fragestellung relevant sind, die Kraft geben und lebendig machen und uns in Beruf und Familie weiterbringen – aber genauso gut Anteile, die wir umwandeln wollen oder von denen wir uns verabschieden. Zum Beispiel Rollen, die wir nur spielen, weil sie von uns erwartet werden und die uns nicht mehr guttun.

Zurück in die Selbstwirk­samkeit

Einer der wesentlichen Punkte bei der heilsamen Körpermalerei ist der taktile Aspekt. „Viele von uns haben aufgrund von Beziehungstraumata als Kind nur wenig Körperkontakt kennengelernt“, so Sowa-Mörtl. Vor allem Frauen haben oft Scheu, den eigenen Körper zu berühren. „Aber wir alle brauchen Berührungen. Dadurch wird das Bindungshormon Oxytocin ausgeschüttet, das Beziehungen stärkt – vor allem die Beziehung zu sich selbst.“ Neben der taktilen Wirkung von Body Art ist es das Zusammenspiel mit den Farben, das es so besonders macht. Man greift intuitiv zu den Farben, die das Unterbewusstsein gerade braucht. Und: Kreatives Tun kann vor allem in Krisensituationen oder wenn man sich ohnmächtig fühlt, wahre Wunder wirken. Es bringt uns zurück in die Selbstwirksamkeit, stärkt das Gefühl von Handlungsfähigkeit und Autonomie, fördert Flexibilität im Denken und entspannt.

Sowa-Mörtl: „Jede Leinwand ist wie das Leben. Man kann immer wieder von vorne beginnen, Dinge übermalen, neu gestalten. Wenn wir kreativ sind, werden wir Schöpfer:in unserer Wirklichkeit.“ Body Art unterstützt die Resilienz als auch die Selbstführung, die es gerade in fordernden Zeiten braucht. Dafür sind keinerlei künstlerische Vorkenntnisse notwendig. Nur die Bereitschaft, seinem authentischen Selbst ganz nah zu kommen – mit allen Licht- und Schattenseiten, Ressourcen und Stärken und nicht zuletzt den tiefen Wünschen, Träumen und Visionen, die in uns schlummern.

„Heilsame Körpermalerei kann gerade dann helfen, wenn Menschen für Dinge keine Worte haben. Sie bringt unausge­sprochene Gefühle und Themen zum Ausdruck.“

Kathrin Sowa-Mörtl

WISSENSWERT

Körpermalerei wird bereits seit den Anfängen der Menschheitsgeschichte von vielen Kulturen praktiziert. Je nachdem, welches Bedürfnis oder Ziel im Vordergrund steht, werden bei der Heilsamen Körpermalerei der ganze Körper oder nur die Hände bzw. das Gesicht bemalt, entweder selbst oder in Form eines dialogischen Malens.

Mit kreativen Tätigkeiten gepaart mit dem Aufenthalt in der Natur hilft Kathrin Sowa-Mörtl Menschen dabei, wieder zu innerer Stabilität und mehr Lebendigkeit zu finden. © kk

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