„Wir zeigen vor, wie wir die Energiewende gemeinsam regionalisieren“
Interview mit Harald Kraxner Geschäftsführer der Holzwelt Murau.
advantage: Seit wann ist die Region Murau energieautark und wie ist es dazu gekommen?
Harald Kraxner: Die Energievision Murau legte schon im letzten Jahrzehnt den Grundstein für 100 Prozent erneuerbare Energie. Damit wurden unsere Ressourcen Sonne, Wasser, Wind und Biomasse sowie eine breite Beteiligung engagierter Akteure in den Vordergrund gestellt. Sowohl durch die massive Erhöhung des Biomasseanteils als auch durch den Ausbau der Wasserkraft konnten bis heute viele Millionen Euro an zusätzlicher regionaler Wertschöpfung erzielt werden. Auf diese Erfolge und Vorteile in unserem Bezirk gilt es aufzubauen, hin zu einem Leuchtturm und Exportland für erneuerbare Energie mit den dafür notwendigen Lösungen.
Warum ist es heutzutage wichtig energieunabhängig zu sein?
Vor rund 20 Jahren, als wir mit den Entwicklungen begonnen haben, wurden wir in unseren Visionen teilweise noch belächelt. Der Erfolg und die aktuelle Lage geben uns nun recht. Ich denke, dass generell ein hoher Selbstversorgungsgrad unserer Grundbedürfnisse von großem Vorteil ist. Zu den Grundbedürfnissen zähle ich auch Wärme und Strom. Dazu kommt, dass wir mit diesem Geld die Region, sprich unsere Heimat, unterstützen. Ich sehe absolut nicht ein, warum Österreich, egal ob von Russland oder von den Arabischen Emiraten, Energie beziehen muss und man sich gleichzeitig in die Abhängigkeit begibt. Bauen wir doch unser gesamtes Energiesystem um. Wir sind dazu in der Lage. Das fördert die regionale Wirtschaft und ist gut für unsere wertvolle Umwelt. Es gibt genug Studien, die das belegen. Wir in Murau zeigen es vor, wie wir die Energiewende gemeinsam regionalisieren.
Welche Projekte wurden umgesetzt, damit dieses Ziel erreicht werden konnte?
Es gibt mehrere Leuchtturmprojekte. Eines davon ist das Blockheizkraftwerk Murau, welches rund 400 Meter höher das Landeskrankenhaus Stolzalpe versorgt. Ein zweites ist die völlige Umstellung der Murauer Brauerei. Hier wurde auch der gesamt Brauprozess auf erneuerbare Energie umgestellt – 100 Prozent CO2 neutral und österreichweit einzigartig. Ein drittes ist das Wasserkraftwerk in Murau, welches auch inselbetriebsfähig ist. Mit insgesamt knapp 90 Anlagen hat die Wasserkraft im Bezirk eine enorme Bedeutung. Auch der Biomassehof in St. Lambrecht ist ein Leuchtturmprojekt. Er bietet staubfrei trockenes Hackgut für die Endkunden an. Somit haben die Abnehmer den gleichen Komfort wie bei Öl und Gas, nein besser noch, weil der Rohstoff aus der Region kommt. Weiters auch der höchst gelegene Tauernwindpark in Oberzeiring. Er steht zwar im benachbarten Murtal, die gesamte Energie wird über das Lachtal in den Bezirk Murau eingespeist. In der Holzwelt Murau wurden auch rund 1.200 Photovoltaikanlagen gebaut. Vorwiegend auf Dächern, einige auch auf unproduktive Flächen.
Die Region ist auch Vorreiter in Sachen heizen – wie viel Prozent der Gebäude in der Region werden mit nachhaltigen Energiequellen beheizt?
75 Prozent aller Gebäude – das heißt drei von vier Gebäuden werden aus nachhaltiger Energie beheizt. Fast in jeder Ortschaft gibt es ein Bio-Nahwärmeheizwerk, betrieben von einer bäuerlichen Genossenschaft oder gewerblichen geführten Gesellschaft. Auf dem Stromsektor produzieren wir dreimal so viel Strom wie in der Region verbraucht wird. Der restliche Strom wird in die übergeordneten Netze eingespeist.
Welche Projekte sind für die Zukunft in der Region noch geplant?
Die zentralste Entwicklungsachse aller unserer zukünftigen Bemühungen wird die bedarfsgerechte Energiebereitstellung sein. Warum ist das so? Erneuerbare Energiequellen wie Windkraft und Sonnenkraft stehen nicht zu jedem Zeitpunkt zur Verfügung, zudem ist die Wasserkraft saisonalen Schwankungen unterworfen. Damit Österreich auch in diesen Zeiten genügend erneuerbaren Strom zur Verfügung hat, braucht es die Integration von Speichertechnologien in unserem Gesamtenergiesystem. Genau da setzen wir aktuell mit neuen Projekten und mit einer Mischung aus unterschiedlichen Speichertechnologien an: Gemeinschaftsbatteriespeicher für die Kurzzeitspeicherung, Wasserstoffenergiezellen (Produktion aus erneuerbarer Primärenergie und Verwendung in der Mobilität, Rückverstromung und Industrieprozessen) für die Langzeitspeicherung. Die Systeme, sowohl kleine dezentrale wie auch große zentrale, sollen so ins System integriert werden, dass in erster Linie 365 Tage/24 Stunden genug erneuerbare Energie in der Region zur Verfügung steht und in zweiter Linie erneuerbare Energie bedarfsgerecht für die Ballungszentren geliefert werden kann. Gerade die Integration von Speichertechnologien ins dezentrale regionale Energiesystem wird den weiteren Ausbau der Erneuerbaren weiterhin ermöglichen, denn derzeit befinden wir uns mit den Energienetzen schon am Anschlag ihrer Übertragungskapazitäten.