© P. Pismestrovic
  • Advantage
  • Leben
  • Wo alle das Gleiche denken, denkt keiner, weil es die Masse nicht nach Wahrheit dürstet
Leben
05.04.2024

Wo alle das Gleiche denken, denkt keiner, weil es die Masse nicht nach Wahrheit dürstet

„Um ein tadelloses Schaf einer Schafherde zu sein, muss man vor allem ein Schaf sein.“ Dieser Satz wird Albert Einstein zugeschrieben. Dass er nicht unrecht hat, spiegeln Experimente und auch Märchen deutlich wider. Eine Glosse von Hans Lach.

Die kurze Zusammenfassung des Textes der nachfolgenden Beispiele sei dem französischen Arzt, Soziologen und Begründer der Massenpsychologie, Gustave Le Bon (1841–1931), überlassen: „Nie haben die Massen nach Wahrheit gedürstet. Von den Tatsachen, die ihnen missfallen, wenden sie sich ab und ziehen es vor, den Irrtum zu vergöttern, wenn er sie zu verführen vermag. Wer sie zu täuschen versteht, wird leicht ihr Herr, wer sie aufzuklären sucht, stets ihr Opfer.“

Beispiel 1

Das sogenannte Konformitäts­Experiment (1951 veröffentlicht) von Salomon Asch zeigt, dass man Menschen so beeinflussen kann, dass sie das offensichtlich Falsche als richtig bewerten. Einer Gruppe, unter der sich neben der Versuchsperson mehrere Eingeweihte befanden, wurden jeweils drei Referenzlinien gezeigt. Die Aufgabe war, einzuschätzen, welche Linie die längere war. Bei den ersten Durchgängen wurde Vertrauen aufgebaut, indem „richtige“ Schätzungen auch von den sogenannten „Schauspielern“ abgegeben wurden. Bei weiteren Durchgängen gaben diese jedoch falsch Einschätzungen ab. Das verunsicherte den Probanden und führte dazu, dass er sich bei weiteren Durchgängen den offensichtlichen Fehlentscheidungen der Mehrheit anpasste. Die Versuchsreihe zeigte deutlich, welchen Einfluss die Mehrheit auf die Einzelperson hat. Das sogenannte Asch­Experiment mit seinem Ergebnis lässt sich ohne weiteres auf unterschiedliche Bereiche projizieren. Übrigens: nur ein Viertel der Versuchspersonen haben sich bei diesem Experiment nicht beeinflussen lassen und hatten eine eigene Meinung.

Beispiel 2

Das Experiment, welches 1961 vom Psychologen Stanley Milgram in New Haven (USA) durchgeführt wurde, zeigt deutlich, wie Menschen Anweisungen befolgen, die von Autoritäten kommen. Selbst dann, wenn sie im Widerspruch zu ihrem Gewissen stehen. Der Ablauf des Milgram­Experiments folgte einer Inszenierung. Es gab einen „Lehrer“, der nach Anweisungen eines „Versuchsleiters“ (ein in Grau gekleideter Schauspieler) dem „Schüler“ (ebenfalls ein Schauspieler) bei einer falschen Antwort Stromschläge versetzen musste. Bei jeder falschen Antwort wurden die elektrischen Schläge auf Anweisung des „Versuchsleiters“ mit Worten wie „Bitte, machen sie weiter“ oder „Sie haben keine Wahl – weitermachen!“ um 15 Volt erhöht. Die Stromschläge waren nicht real. Diese Tatsache blieb der eigentlichen Versuchsperson, dem „Lehrer“, verborgen. Dieser war überzeugt, dem „Schüler“ echte Schmerzen zugefügt zu haben. Nur wenige haben das Experiment vorzeitig abgebrochen.

Beispiel 3

Das Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ des dänischen Schriftstellers Hans Christian Andersen (am 7. April 1837 publiziert) zeigt, wie Menschen hinters Licht geführt werden können. Eines Tages erschienen am Hof des Kaisers zwei Weber und behaupteten, sie könnten ihm ganz spezielle Kleidung anfertigen. Diese könnte von niemandem gesehen werden, der dumm wäre. Der Kaiser wollte diese Kleider haben und die Weber machten sich an die Arbeit. Alle, die die Arbeit der beiden beobachten, konnten nichts sehen und scheuten sich, die Wahrheit zu sagen. Niemand wollte sich eingestehen, dass es keine Stoffe auf den Webstühlen gab, dann würden sie sich eingestehen, dass sie dumm seien. Alle lobten die prachtvollen Muster. Beim Festzug wollte der Kaiser dem Volk seine wunderschönen Kleider präsentieren. Niemand sagte, dass der Kaiser keine Kleider trug, bis ein kleines Kind überrascht ausruft: „Er hat ja gar nichts an!“ Endlich begriff auch der Kaiser, dass er belogen wurde. Beispiel für Leichtgläubigkeit und unkritische Akzeptanz gegenüber Autoritäten ist auch die Erzählung vom „Hauptmann von Köpenick“.

ZUR PERSON

HANS LACH

Autor und Verleger

office@alpen-adria-verlag.at

Schlagwörter