Credit: PH Kärnten
Bildung
04.11.2020

Geschichte neu erzählen

Erinnerung soll Menschen verbinden. Dieses Ziel haben sich WissenschaftlerInnen der Pädagogischen Hochschule Kärnten gesetzt. Die Ergebnisse aus dem Forschungsprojekt gibt’s in Buchform.

Ein Hundert-Jahr-Jubiläum bietet sich an, das Thema Erinnerungskultur einmal intensiv zu behandeln. Die Volksabstimmung am 10. Oktober 1920, als sich die Bevölkerung Südkärntens mit großer Mehrheit für den Verbleib bei der jungen Demokratie „Deutschösterreich“ entschied, betrifft und betraf Kärnten und Slowenien gleichermaßen. Hundert Jahre später könnte die Zeit gekommen sein, sich diesem Ereignis neu anzunähern und eine größere, grenzüberschreitende Geschichte zu erzählen, meinen Dr. Daniel Wutti und Eva Hartmann vom Institut für Mehrsprachigkeit und Transkulturelle Bildung der Pädagogischen Hochschule Kärnten.
Das haben sie und KollegInnen in dem umfassenden Forschungsprojekt „Erinnerungskulturen im Grenzraum – Spominske kulture na obmejnem območju. Ein pädagogisch-praktisches Projekt zur Kärntner Landesausstellung“, das im Rahmen von CARINTHIja 2020 gefördert wird, getan.


Sie wollten wissen, wie der 10. Oktober im 21. Jahrhundert in den Volksschulen begangen wird, welches Bild den Heranwachsenden rund um dieses Ereignis vermittelt wird und welche Rolle dieses Datum in Slowenien spielt.
Das grenzüberschreitende Projekt startete mit einer Online-Befragung von Volksschuldirektionen. Das erste erfreuliche Ergebnis daraus: Das Interesse war groß, 142 DirektorInnen machten mit und schickten die Fragen vollständig beantwortet zurück. Das entspricht einer Rücklaufquote von 60 Prozent. Etwas skeptischer standen vorerst die KollegInnen aus Slowenien dem Vorhaben gegenüber. Schließlich fand man doch Partnerschulen, die dann aber gern mitmachten.


Wie vor 100 Jahren


In einer zweiten Phase führte Hartmann Interviews mit DirektorInnen aus neun von zehn Kärntner Bezirken. Das Ergebnis brachte zum Teil Erstaunliches zutage. So wird der 10. Oktober heute vielfach noch sehr traditionell gefeiert: Beispielsweise wird am Schulgelände die Kärntner Fahne aufgezogen, Fahnen werden im Unterricht gebastelt, Gedichte werden aufgesagt und die Landeshymne wird gesungen. Interaktive Gestaltungsformen, die Einbeziehung von wissenschaftlich fundierten Aspekten oder die Behandlung des Themas Zweisprachigkeit finden im schulischen Kontext weniger Eingang.
Erst seit 2010 wird die slowenische Minderheit in Kärnten bei den offiziellen Feierlichkeiten des Landes mit einbezogen. Das Geschichtsnarrativ der Kärntner SlowenInnen fand in den Jahrzehnten davor kaum Berücksichtigung.
Einseitigen Interpretationen soll entgegengewirkt werden, denn die Gründe für die Wahlentscheidungen im Jahr 1920 waren vielschichtig, erläutert Eva Hartmann. 70 Prozent der Bevölkerung im Abstimmungsgebiet sprachen Slowenisch, mehr als die Hälfte der Ja-Stimmen kam von der slowenischen Volksgruppe. Für sie spielten wirtschaftliche Gründe sowie die Wahl der Staatsform – junge Republik Deutsch­österreich versus Königreich SHS – eine Rolle. Zudem wurden zum Verbleib bei „Deutschösterreich“ zusätzliche Versprechungen gemacht.
Die Untersuchung zeigt, dass LehrerInnen ihr Wissen um das historische Ereignis vor allem aus der Familie und der eigenen Schulzeit bezogen. Lange sei das Plebiszit in der LehrerInnenausbildung nicht explizit bearbeitet worden. Die PH Kärnten hat nun die Erinnerungskultur und Auseinandersetzung mit Kärntens historisch gewachsener Zweisprachigkeit in die Aus- und Fortbildung aufgenommen.
In Slowenien fehlt zum Teil das Verständnis für den Ausgang des Plebiszits in Kärnten. Karantanien wird als Wiege des Slowenentums vielfach mythologisiert und als Verlust interpretiert, der slowenische Offizier, Dichter und politische Aktivist Rudolf Maister, der dem Staat der Slowenen, Kroaten und Serben (SHS) nach dem ersten Weltkrieg das Mießtal und die Untersteiermark sicherte, gefeiert.
„Es geht darum gemeinsam in die Zukunft zu blicken. Denn in einem vereinten Europa sind neue Geschichtsnarrative notwendig“, meinen die StudienautorInnen. Die Vermittlung von geschichtlichem Hintergrund sollte zu Toleranz, Friedens- und Demokratie­bildung beitragen sowie das Interesse und Verständnis für andere Sichtweisen fördern.


Gratis Download


Genau dazu sollen die Forschungsergebnisse, die nun als Buch in deutscher und slowenischer Sprache erscheinen, sowohl in Kärnten als auch Slowenien beitragen. Sie beinhalten unter anderem 33 Beispiele, wie man im schulischen Kontext Erinnerungskultur gut aufbereiten kann. Ein Drittel der Unterrichtsbeispiele beziehen sich auf den 10. Oktober, die anderen sind für die schulische Auseinandersetzung mit Erinnerungskultur einsetzbar. Das gesamte Buch gibt es im Internet auch gratis zum Herunterladen. „Die Feiertage bieten ganz neue Möglichkeiten der Grenzüberschreitung. Daher möchten wir möglichst viele Menschen erreichen, damit die Vergangenheit in Zukunft anders wird“, sagen die StudienautorInnen.

Credit: PH Kärnten
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