Die Pflegelehre könnte in Österreich heuer noch eingeführt werden. Eine möglichst rasche Umsetzung ist das Ziel. – Foto: Pixabay/klimkin
Bildung
12.04.2021

Löst die Pflegelehre das Personalproblem?

Kärntner Anbieter von Pflege-Dienstleistungen stehen der geplanten Pflegelehre großteils positiv gegenüber. Doch es wären in der Aus- und Weiterbildung noch weit mehr zukunftsweisende Maßnahmen zu treffen.

Geht es nach den Plänen des Bundes, so könnte noch heuer die Pflegelehre in Österreich auf den Weg gebracht werden. An der genauen Ausgestaltung der Ausbildung wird derzeit gearbeitet. Der Staus quo laut Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort – dort fragte advantage nach: Es liegen derzeit Vorschläge zu den Berufsbildern Pflegeassistenz mit geplanten drei Lehrjahren und Pflegefachassistenz (Plan: vier Lehrjahre) vor. Es sind allerdings noch gesetzliche Änderungen bzw. rechtliche Anpassungen vorzunehmen. „Hier laufen aktuell Gespräche, um eine möglichst rasche Umsetzung zu gewährleisten“, heißt es.

Doch was sagen Kärntner Anbieter von Pflege-Dienstleistungen zu den Plänen? Wir haben nachgefragt.

Elisabeth Scheucher-Pichler, Hilfswerk Kärnten

"Die Einführung der Pflegelehre in Österreich ist wichtig, um bereits junge Menschen für eine Karriere in der Pflege zu gewinnen."

Hilfswerk Kärnten

„Die Einführung der Pflegelehre in Österreich ist wichtig, um bereits junge Menschen für eine Karriere in der Pflege zu gewinnen“, hat Hilfswerk-Kärnten-Präsidentin Elisabeth Scheucher-Pichler eine klare Meinung. Die Weichen für einen weiteren Berufsweg werden schließlich schon nach dem Pflichtschulabschluss gestellt. „Wobei man hier festhalten muss, dass im Rahmen der Lehre die Arbeit mit pflegebedürftigen Menschen erst ab dem 17. Lebensjahr erfolgt. Die ersten beiden Jahre widmen sich der Theorie und der Vorbereitung, was die Lehrlinge im Praxisalltag erwarten wird“, so Scheucher-Pichler.

Doch auch sie ist überzeugt, dass alleine die Pflegelehre den Personalbedarf zukünftig nicht abdecken wird können. Unterschiedliche Maßnahmen und Modelle der Aus- und Weiterbildung seien gefragt.

Scheucher-Pichler über Hilfswerk-Angebote: „In Kärnten bietet das Hilfswerk bereits gemeinsam mit den Landwirtschaftlichen Fachschulen eine dreijährige Ausbildung zur Heimhilfe an, die neben einem Theorieblock auch Praxis im ambulanten und stationären Bereich beinhaltet. Auch einen digitalen Lehrgang zur Heimhilfe-Ausbildung haben wir heuer über die Hilfswerk-Akademie gestartet.“

Christian Polessnig, AHA-Gruppe

"Wir sehen die Einführung des Lehrberufs grundsätzlich als positives Zeichen, dass Ausbildungen im Bereich der Pflegeberufe in Österreich neu aufgesetzt werden."

AHA-Gruppe

Die AHA-Gruppe betreibt Seniorenresidenzen und Pflegeheime in Kärnten. Christian Polessnig ist Geschäftsführer und auch er ortet dringenden Handlungsbedarf, neue Ausbildungsmöglichkeiten im Pflegebereich anzubieten, um den Personalbedarf kurz- und mittelfristig decken zu können. „Die aktuelle Problematik sehen wir darin, dass nach Abschluss der Pflichtschule in der 9. Schulstufe sehr viele Interessenten am Pflegeberuf verloren gehen, weil sie zwei Jahre bis zum 17. Lebensjahr warten müssen, damit sie die Ausbildung an der Gesundheits- und Krankenberufsschule aufnehmen können. Die duale Ausbildung wird ihren Beitrag leisten, diese Lücke zu schließen. Die AHA-Gruppe setzt sich mit der Curatum Bildungsakademie dafür ein, den Pflegeberuf attraktiver zu machen. Egal welche Ausbildungsformen in Zukunft angeboten werden, die Lehrinhalte müssen dem Alter und der psychischen und physischen Reife der Auszubildenden angepasst werden.“

Der Personalmangel sei allerdings ein komplexes Problem und Erweiterungen des Ausbildungsangebotes würden Jahre brauchen, bis sie auf dem Arbeitsmarkt greifen und Verbesserungen bringen. Polessnig: „Wir sehen die Einführung des Lehrberufs grundsätzlich als positives Zeichen, dass Ausbildungen im Bereich der Pflegeberufe in Österreich neu aufgesetzt werden. Dass eine Veränderung der Personalprobleme in der Pflege möglich ist, haben wir in der Schweiz gesehen.“

Otto Scheiflinger, "Wie daham…"

"In Ergänzung zur Akademisierung in der Ausbildung wäre aus meiner Sicht ein Lehrberuf in der Pflege sehr sinnvoll."

"Wie daham…"

„Wie daham…“ betreibt drei Senioren- und Pflegezentren in Kärnten. Eigentümer und Geschäftsführer Otto Scheiflinger weiß: „Mit dem Wandel der Bevölkerungsstruktur wird sich auch die Pflege verändern. Die steigende Zahl an Demenzkranken wird uns in den nächsten Jahren vermehrt beschäftigen. Die Prognosen untermauern die Bedeutung von entsprechenden Aus- und Weiterbildungen des Pflegepersonals. Als Vorreiter auf dem Gebiet der Validation haben wir in jedem unserer österreichweit elf Häuser speziell geschulte Mitarbeiter, die sich nicht nur durch ihr Fachwissen auszeichnen, sondern die dem ihnen Anvertrauten insbesondere mit emotionaler Kompetenz begegnen. Aber der Bedarf an qualifizierten Pflegekräften wird weiter stark steigen. In Ergänzung zur Akademisierung in der Ausbildung wäre somit aus meiner Sicht ein Lehrberuf in der Pflege sehr sinnvoll.“ Scheiflinger spricht sich schon seit vielen Jahren dafür aus.

Er kann sich eine Lehre in der Pflegeassistenz vorstellen. Darauf könnte es aufbauende Module geben, die am Ende bis zu einem akademischen Abschluss führen können. „In anderen Ländern funktioniert dieses Konzept schon gut und wird angenommen. Die Pflege ist eine absolute Zukunftsbranche, die in den kommenden Jahren weiter wachsen wird und jungen Arbeitnehmern beste Aufstiegschancen bietet. Es würde mich sehr freuen, an all meinen österreichweit elf Senioren- und Pflegezentren Lehrlinge ausbilden zu dürfen.“

Wilfried Hude, Caritas Kärnten

"Die Pflegelehre ist eine Möglichkeit, junge Menschen für Pflegeberufe zu gewinnen."

Caritas Kärnten

Die Pflegelehre ist eine Möglichkeit, junge Menschen für Pflegeberufe zu gewinnen, so Wilfried Hude, Bereichsleiter Schulbildung der Caritas Kärnten. „Damit würde man den Kreis der potenziellen Interessenten ausweiten. Das ist notwendig, auch wenn nicht selten erklärt wird, dass Abgänger der neunten Schulstufe für eine Pflegeausbildung zu jung seien. Warum? Sie stehen nicht gleich zu Beginn, also mit 15 Jahren, am Krankenbett oder sind im direkten Patientenkontakt.“

Dem Argument des „zu jung Seins“ für eine sozialberufliche Ausbildung begegnet die Caritas seit fast sieben Jahrzehnten mit einem eigenen berufsvorbereitenden Schulwesen, das sich bereits an Jugendliche ab dem 14. Lebensjahr richtet und das Schüler motivierend, bewusstseinsbildend und fachlich gezielt auf einen späteren Einstieg in eine zur Berufsberechtigung führende sozialberufliche Ausbildung vorbereitet. Seit 1953 haben österreichweit mehrere tausend Schüler die zweijährigen Schulen für Soziale Dienste und die dreijährigen Fachschulen für Sozialberufe der Caritas absolviert und geschätzte 30 Prozent danach eine Krankenpflegeschule abgeschlossen. „Diese Schulen und die fünfjährigen Höheren Schulen – eine Höhere Lehranstalt für Sozialmanagement (HLW) gibt es in Klagenfurt und ab Herbst 2021 wird es auch eine Höhere Lehranstalt für Sozialbetreuung und Pflege (HLSP) in der Landeshauptstadt geben – setzen genau dort an, wo man in der heutigen Diskussion mit den Pflegeausbildungen anfangen möchte“, so Hude.

„Die Pflegelehre kann weder den Personalmangel in der Pflege beheben, noch die alleinige Antwort auf den Fachkräftemangel sein, aber eine Lehre ermöglicht jungen Menschen den Zugang zu Pflege und Betreuung im Anschluss an die Pflichtschule.“ Die Caritas befürwortet daher die Pilotierung und anschließende Evaluierung einer Lehrausbildung in diesem Bereich. Fachexperten der Caritas sollten in die Entwicklung einer Lehrausbildung einbezogen werden, fordert Hude. Sozialbetreuungsschulen (SOBs) könnten als Berufsschulen eingesetzt werden.

Der Mangel an Fachkräften sei aber nicht nur der wachsenden Zahl an hochbetagten Menschen geschuldet, sondern auch wesentlich beeinflusst durch die Arbeitsbedingungen in der Betreuung und Pflege. Hier bedarf es dringend einer Weiterentwicklung, damit Fachkräften attraktive Arbeitsbedingungen angeboten werden können. Hude: „Allerdings sind die Rahmenbedingungen und (finanziellen) Vorgaben für die Träger so restriktiv ausgestaltet, dass bisher der Gestaltungsspielraum fehlt, um Verbesserungen umzusetzen.“

Birgit Treven, Rotes Kreuz Kärnten

"Für den Bereich der mobilen Pflege und Betreuung wäre vor allem die Lehre zum Pflegeassistenten sinnvoll."

Rotes Kreuz Kärnten

Für Birgit Treven, Pflegedienstleitung beim Roten Kreuz, wäre die Pflegelehre ein weiterer Teil „einer komplexen, vielschichtigen Lösung“. Alleine löse sie also den Personalmangel in der Pflege nicht. Aber sie wäre auch eine weitere Möglichkeit, mehr Berufseinsteiger zu akquirieren. „Für den Bereich der mobilen Pflege und Betreuung wäre vor allem die Lehre zum Pflegeassistenten sinnvoll, da das Berufsbild der Pflegefachassistenten dem stationären Bereich angepasst wurde und auch momentan nur hier zum Einsatz kommt.“

Treven sieht noch einige offene Fragen: Welche neuen Aufgaben kommen etwa auf den „Lehrherrn“, also die Ausbildungsstätte, zu? Wie werden die Ausbildungskosten aufgeteilt, da die praktische Ausbildung den Einsatz in verschiedenen Bereichen (intra- und extramural) voraussetzt? „Das bedeutet, dass die Ausbildungsstätte den Lehrling bezahlen müsste, auch wenn dieser ein wochenlanges Praktikum außerhalb absolviert.“ Außerdem müsste sich die Ausbildungsstätte zum Lehrlingsausbildner weiterqualifizieren, gibt sie zu bedenken.

Auch die altersmäßige Vorgabe zur praktischen Unterweisung von Auszubildenden nach dem Gesundheits- und Krankenpflegegesetz ist ein Punkt: Diese müssen das 17. Lebensjahr vollendet haben, also entsteht eine „Lücke“ von zwei Jahren (ab Absolvierung der Schulpflicht). Treven: „Außerdem sind Jugendliche in diesem sensiblen Bereich nur unter laufender, professioneller Beobachtung in die Praxis zu begleiten, da es im Betreuungs- und Pflegebereich zu massiven physischen und psychischen Belastungen kommen kann. Dies kann sich negativ auf die Dropout-Rate bei Lehrlingen in Gesundheitsberufen auswirken.“

Anton Kellner, SeneCura Gruppe

"Aufgrund des steigenden Personalbedarfs brauchen wir möglichst viele unterschiedliche Zugangs- und Ausbildungswege."

SeneCura Gruppe

Für die SeneCura Gruppe spricht Geschäftsführer Anton Kellner. Man sei für eine Verbreiterung der Qualifizierungs-Palette (Pflegelehre bis verstärkte Akademisierung) und stützt sich dabei auf internationale Expertise. Die Pflegelehre wird ausdrücklich befürwortet: „Aufgrund des steigenden Personalbedarfs brauchen wir möglichst viele unterschiedliche Zugangs- und Ausbildungswege.“

Der Pflegeassistenz-Beruf könne klassisch wie eine Lehre (drei Jahre, duales System) gestaltet werden, so Kellner. Der Beruf Pflegefachassistenz sollte idealerweise in einer Berufsbildenden Höheren Schulform absolviert werden. SeneCura hat ein Schwester-Unternehmen (Senevita) in der Schweiz. Erfahrungen zeigen, dass dort die Pflegelehre eine gute Möglichkeit für den Einstieg junger Menschen in die Pflege ist. „Dort sind derzeit 270 Pflege-Lehrlinge bei Senevita in Ausbildung.“

Die duale Ausbildung kann wohnortnahe erfolgen und müsse durch ausgebildete Praxisanleiter kompetent begleitet werden, gerade zu Beginn der Lehre. Erfahrungen würden zeigen, dass die Pflegelehre häufig am Anfang des Berufsweges die Basis für eine Karriere bis hin zum Uni-Studium eines Gesundheitsberufes legt. Kellner: „Bemerkenswert im Schweizer System ist, dass rund 50 Prozent der Fachangestellten Gesundheit eine weiterführende Ausbildung zum Gehobenen Dienst absolvieren.“

Susanne Lissy, Diakonie de La Tour Kärnten

"Es ist ungeschickt, noch eine Ausbildungsschiene aufzureißen, wenn man nicht weiß, wie und wo Pflegelehrlinge eingesetzt werden könnten."

Diakonie de La Tour Kärnten

Susanne Lissy ist Leiterin der Schule für Sozialbetreuungsberufe Waiern der Diakonie de La Tour. Sie weiß: „An Pflegekräften mangelt es nicht erst seit Covid-19.“ Mehr Personal bräuchte es vor allem bei Pflegeassistenz und Pflegefachassistenz. Sie spricht sich dafür aus, die bestehenden Ausbildungsschienen noch besser zu unterstützen und zu festigen anstatt auf die Pflegelehre als neuen Zweig zu setzen. „Es ist ungeschickt, noch eine Ausbildungsschiene aufzureißen, wenn man nicht weiß, wie und wo Pflegelehrlinge eingesetzt werden könnten.“

Lissy warnt vor einer hohen Dropout-Rate, denn obwohl man immer wieder versuche, den Pflegeberuf „romantisierend“ zu verkaufen, er ist es nicht. „Ein 15-Jähriger kann sich noch kein wirkliches Bild von diesem Beruf machen. Man braucht als Pflegekraft viel Selbstbewusstsein, ein hohes Maß an Reflektionsfähigkeit und Professionalität.“ Eine Evaluierung in der Schweiz, wo es die Pflegelehre gibt, offenbarte eine hohe Dropout-Rate. „Und sind die Leute einmal verloren, sind sie das womöglich für immer. 15-Jährige sind zwar sehr klug, aber meiner Meinung nach noch zu jung, um in diesem Bereich wirklich arbeiten zu können. Wir haben Ausbildungen, die gut funktionieren. Gerade in Zeiten der Krise sollten wir daher nicht experimentieren.“

An der SOB Waiern gibt es viele Schüler, die sich in einem Alter zwischen 25 und 35 neu orientieren und für die Pflege entscheiden. „Sie sind auf der Persönlichkeitsebene in diesem Beruf angekommen. Sie sollten ordentlich und strukturiert unterstützt werden“, so Lissy. Außerdem suchen zahlreiche Betriebe – vor allem im technischen Bereich – händeringend nach Lehrlingen. „Wir würden uns gegenseitig den Markt abgraben.“

Die Pflegelehre könnte in Österreich heuer noch eingeführt werden. Eine möglichst rasche Umsetzung ist das Ziel. – Foto: Pixabay/klimkin
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