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Wirtschaft
05.04.2022

Nachhaltigkeit ist auch beim Hausbau ein Thema

Wer heute ein Gebäude plant, baut oder saniert trifft Entscheidungen für die nächsten Jahrzehnte. Wichtig ist es daher, dass bereits in der Projektentwicklung Nachhaltigkeitsziele und -anforderungen definiert und umgesetzt werden.

Obwohl ökologisch bewusstes Handeln und Klimaschutz immer mehr in den gesellschaftlichen Fokus rücken, werden die meisten Bauherren bei der Hausbau-Planung sicherlich nicht direkt an Nachhaltigkeit denken. Doch ist es auch beim Hausbau möglich, auf die Nachhaltigkeit zu achten. Wir haben diesbezüglich mit Gustav Spener, Präsident der Kammer der Ziviltechniker:innen für Steiermark und Kärnten und Barbara Frediani-Gasser, Vizepräsidentin der Kammer der Ziviltechniker:innen für Steiermark und Kärnten, gesprochen.

advantage: Wo beginnt Nachhaltigkeit beim Hausbau?

Gustav Spener: Nachhaltig zu bauen ist eine bewusste Entscheidung und beginnt beim ersten Gedanken an ein Bauvorhaben. Der Gebäudesektor ist für einen wesentlichen Anteil am Energieverbrauch und an CO2 Emissionen verantwortlich. Laut UNO-Bericht liegt die Bau- und Gebäudewirtschaft mit 38 Prozent der globalen CO2-Emission auf Rekordniveau. Tatsächlich müssen wir uns daher zu Beginn eines jeden Bauvorhabens immer die Frage stellen, ob das, was wir bauen überhaupt notwendig ist. Eine weitere Frage ist die nach dem tatsächlichen Bedarf. Viele Bauentscheidungen werden im Hinblick auf finanzielle Chancen und Gewinnoptimierung getroffen. Weitere Fragestellungen sind, wo und wie gebaut wird. Der Abriss von Gebäuden ist prinzipiell kritisch zu hinterfragen. Betrachtet man die Energiebilanz des gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes, so wissen wir, dass eine Sanierung jedem Neubau, selbst dem von Passivhäusern vorzuziehen ist. Zudem werden wertvolle und immer knapper werdende Ressourcen bei Abriss vielfach verschwendet und bei Neubau verbraucht. Eine „Umbaukultur“, die dem Bauen im Bestand Vorrang gegenüber dem Neubau einräumt, muss zukünftig vermehrt gelebt werden. Wer heute ein Gebäude plant, baut oder saniert trifft Entscheidungen für die nächsten Jahrzehnte und darüber hinaus. Wichtig ist es daher, dass bereits in der Projektentwicklung wichtige Nachhaltigkeitsziele und -anforderungen definiert und in weiterer Folge über den Projektverlauf umgesetzt werden.

Ist ein nachhaltiges Haus in Planung, worauf sollten Bauherren achten?

Barbara Frediani-Gasser: Ein Gebäude hat in punkto Nachhaltigkeit zahlreiche Anforderungen zu erfüllen. Es muss so geplant und gebaut werden, dass CO2-Emissionen und Energieverbrauch möglichst gering gehalten werden und es den aktuellen Herausforderungen des Klimawandels standhalten kann. Eine Steuerung und Verbesserung der Klimabilanz ist über die Architektur, die Ausrichtung der Baukörper, die Bauweise, die Nutzung der Sonneneinstrahlung oder des Sonnenschutzes, Fassadenstrukturen und Fenstergrößen, Formgebung oder die technische Ausstattung eines Gebäudes möglich. Das sind nur einige Beispiele. Auch Gebäudebegrünungen mit ihren Eigenschaften für Schattenbildung und Hitzereduktion, der Einsatz von nachwachsenden Materialien wie Holz, Schafswolle, Stroh oder Flachs – oder generell kreislauffähige und rezyklierte Materialien verbessern die Ökobilanz eines Gebäudes. Eine Ökobilanzierung oder eine Lebenszykluskostenbetrachtung helfen tatsächliche Umwelteinwirkungen und Energieeffizienz bereits vor Baubeginn zu berechnen und steuern. Anhand der Baumaterialien wird schnell ersichtlich, wie notwendig eine ganzheitliche Betrachtungsweise ist. Entscheidungen hinsichtlich des Baumaterials müssen sowohl die CO2 minimierte Herstellung, den Transport, die emissionsarme Bauweise bis hin zur Entsorgung berücksichtigen. Die so genannte graue Energie für Herstellung, Transport und Entsorgung spielt hier also mit hinein. Als Planerinnen und Planer erarbeiten wir üblicherweise geeignete Maßnahmen gemeinsam mit den Bauherren.

Welche Möglichkeiten gibt es in Sachen Energiegewinnung, wenn man auf nachhaltigen Wohnbau setzt?

Gustav Spener: Klimaoptimierte Gebäude können den Bedarf für Primärenergie, also für Strom, Heizen und Kühlen meist zur Gänze aus erneuerbaren Energien und CO2 neutral abdecken. Bei der Planung greifen wir dabei auf erneuerbare und alternative Energietechnologien zurück. Dabei müssen wir endlich von fossilen Energieträgern wegkommen. Da gibt es verschiedenen Lösungen: Den Einsatz von solarer Energiegewinnung, Energiegewinnung aus Grundwasser oder Erdwärme zum Beispiel. Die Entwicklung und der Einsatz von Innovationen wie ressourcensparende oder energiegewinnende Fassaden werden in diesem Zusammenhang auch immer wichtiger. Hier ist noch großes Potenzial vorhanden.

Gustav Spener, Präsident der Kammer der Ziviltechniker:innen für Steiermark und Kärnten

„Nachhaltig zu bauen, bedeutet nicht, dass teurer gebaut wird. Und über professionelle Planung sind die Kosten gut steuerbar.“

Stichwort Förderungen – wie behält man den Überblick? Gibt es bei den Förderungen noch Nachholbedarf, oder ist Österreich hier bereits gut aufgestellt?

Barbara Frediani-Gasser: Viele unserer Kollegen, also Ziviltechnikerbüros, bieten Förderberatung und -abwicklung an. Auskünfte bieten aber auch öffentliche Einrichtungen wie zum Beispiel die Wohnbauportale der Länder oder das Transparenzportal des Finanz­ministeriums. Hier findet man einen Überblick über die Förderlandschaft rund ums Bauen, Wohnen, Sanieren oder auch die Energieberatung. Derzeit gibt es in Österreich bereits einige Nachhaltigkeitsstandards und Bewertungssysteme, mit denen versucht wird, die ­Weichen für einen nachhaltigeren Bausektor zu stellen. Ziel ist, durch Förderanreize für eine rasche Verbreitung klimafreundlicher Bauweisen zu sorgen und ­klimaaktive Qualität messbar zu machen. Solche ­Initiativen begrüßen wir prinzipiell, aber wir müssen ehrlicherweise auch sagen, dass im Bereich des Förderwesen noch viel Luft nach oben ist. Solange es möglich ist mithilfe von Förderungen, Fassaden mit Erdöl­produkten zu verkleiden und unsere Gebäude darin zu verpacken, ist Nachhaltigkeit falsch verstanden. Der Einsatz öffentlicher Gelder müsste Qualitäts- und Klimaschutzkriterien noch besser steuern. Da spielen auch Überlegungen hinein, wie viel Belastung – in ­dieser Form von Baurestmüll – wir nachfolgenden Generationen hinterlassen dürfen.

Stimmt es, dass nachhaltiges Bauen kostenintensiver ist und wann rechnet sich der Einsatz?

Gustav Spener: Nachhaltig zu bauen, bedeutet nicht, dass teurer gebaut wird. Und über professionelle Planung sind die Kosten gut steuerbar. Es ist schon richtig, dass gewisse Investitionen, zum Beispiel bei der Anschaffung etwas kostenintensiver sein können als mögliche Alternativen. Bei Gebäuden, deren Lebensdauer aber heutzutage mit mindestens 80 bis 100 Jahren angelegt wird, rechnet sich eine ökologische Bauweise immer. Wann der genaue Zeitpunkt dafür ist, kann schwer pauschal beantwortet werden. Bei den meisten Maßnahmen wird dies aber schon nach ein paar Jahren sein, man kann ja auch mit entsprechenden Einsparungen wie zum Beispiel der von Energie rechnen.

Barbara Frediani-Gasser, Vizepräsidentin der Kammer der Ziviltechniker:innen für Steiermark und Kärnten

„Ziel ist, durch Förderanreize für eine rasche Verbreitung klimafreundlicher Bauweisen zu sorgen und klimaaktive Qualität messbar zu machen.“

Wie kann man alte Gebäude im Hinblick auf Nachhaltigkeit sanieren?

Barbara Frediani-Gasser: Das hängt natürlich prinzipiell von der jeweiligen Beschaffenheit und dem Zustand der vorhandenen Bausubstanz ab. Generell ist eine Sanierung dann nachhaltig, wenn sie zur Ver­ringerung des Ressourcenverbrauches des Gebäudes beiträgt. Dazu ist vorab eine professionelle Bestandsaufnahme notwendig, aus der sich planerische und baulich Maßnahmen ableiten lassen. Bei alten Gebäuden geht es häufig darum, die Energiebilanz zu verbessern. Je nachdem, wie die Beschaffenheit der Fassade, der Fenster, des Daches oder auch des Kellers sind, können unterschiedliche, energieeffiziente Maßnahmen sinnvoll sein. Alle bei Sanierung verwendeten Materialien sollten im Hinblick auf ihre Ökobilanz gewählt werden, möglicherweise können vorhandenen Bauteile auch wiederverwendet oder recycelt werden. Darüber hinaus muss sichergestellt werden, dass vorhandene, architektonische Bausubstanz geschützt und altbaugerecht behandelt wird. Planen und Bauen im Bestand setzt fundierte Kenntnisse und spezielles ­Wissen voraus. Mithilfe von professioneller Planung lassen sich Lösungen meist einfacher als gedacht ­qualitätsvoll umsetzen.

Beim Thema der Nachhaltigkeit beim Hausbau geht es oft auch um Fragen der Raumordnungspolitik. Wie kann man diesen Entwicklungen gegensteuern?

Gustav Spener: Die Betrachtung des Gebäudes alleine wäre im Kontext der Nachhaltigkeit viel zu eng gedacht. Räumliche Strukturen wirken sich direkt auf Energieverbrauch und Treibhausgasemissionen aus und spielen eine wesentliche Rolle, wenn es darum geht, Umwelt und Klima zu schützen. Allein im Jahr 2020 wurden 3.900 Hektar in Österreich verbaut und ­versiegelt. Der Flächenfraß wächst aktuell mehr als doppelt so schnell wie die Bevölkerung: In den Jahren 2001 bis 2019 ist der Bodenverbrauch um 27 Prozent gestiegen, die Bevölkerung im Vergleich aber nur knapp über zehn Prozent. Der Wunsch nach dem Eigenheim im Grünen ist nachvollziehbar und dennoch können wir es uns nicht leisten, dass durch Zersiedelung die Natur und Kulturlandschaften weiterhin aufgefressen werden und übermäßige Kosten bei der Errichtung und Erhaltung der Versorgungsinfrastruktur anfallen. Neben der Zersiedelung begegnen wir auf der anderen Seite der Leerstandproblematik und Verödung von Ortskernen. Um diesen Entwicklungen entgegenzuwirken, wird man sich mit verdichteten Wohn- und Bebauungsformen, Instrumenten wie der Mobilitätsabgabe, einer Staffelung der Infrastrukturabgaben nach dem Verursacherprinzip, Bebauungsfristen, Regelungen für Siedlungsschwerpunkte und Mobilitätsfragen auseinandersetzen müssen. Dazu brauchen wir auch die notwendigen Rahmenbedingungen zum Beispiel in Form von Gesetzesreformen und -novellierungen. Viele Kannbestimmungen müssen in Muss­bestimmungen umgewandelt werden. Um eine klima­gerechte, ökologische und sozial nachhaltige „Bauwende“ zu schaffen, müssen wir uns mit all diesen Themen der Raumordnung, der Flächenwidmung, des Landschaftsschutzes, der Kreislauffähigkeit und des Bestandserhalts von Baustoffen und Gebäuden im Detail auseinandersetzen. Als Ziviltechniker gestalten wir durch unseren Planungs- und Dienstleistungen die Lebensräume vieler Menschen mit. Unsere Verantwortung, unseren Nachkommen keine Altlasten, sondern ausreichend Kapital für einen zukunftsfähigen Lebensraum zu hinterlassen, sind wir uns bewusst.

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